Ich glaube, in jedem Menschen lebt eine Sehnsucht nach dessen Heilung: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“
Ich glaube, in jedem Menschen lebt eine Sehnsucht nach dessen Heilung: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 11. Februar 2024.
Zum heutigen Evangelium kommt mir eine persönliche Erinnerung in den Sinn. Es war zwei Tage nach der Wahl von Papst Franziskus, am 13. März 2013, im vatikanischen Gästehaus Santa Marta, in dem wir Kardinäle während des Konklaves, der Papstwahl, untergebracht waren. Papst Franziskus war am Weg zum Lift, ich auch. Ich wollte mit ihm in den Lift. Ein Schweizergardist verwehrte mir den Zugang. Nach Protokoll sollte der Papst nur mit seinem „Wächter“ sein. Franziskus bemerkte das und sagte: „Er kann hereinkommen. Ich habe doch nicht die Lepra!“ Auf dieses humorvolle Wort des Papstes hin ließ mich der strenge Gardist zum Papst in den Lift einsteigen.
Für mich war diese kleine Szene bezeichnend für das, was wir seither mit Papst Franziskus erleben. Die Lepra, der Aussatz, diese seit Jahrhunderten gefürchtete Krankheit, steht für Isolation und Ausschluss. Franziskus wollte die traditionelle Absonderung des Papstes durchbrechen, unter den Menschen sein. Er ist deshalb bis heute im Gästehaus wohnen geblieben. Man begegnet ihm im Speisesaal, in der Halle, im Lift. Er braucht diese Nähe zu anderen, sie tut ihm gut und gibt den anderen die Erfahrung, dass er nicht ein abgehobenes, unnahbares Leben führt.
Die Lepra macht aus Menschen unberührbare Isolierte. So war es zur Zeit Jesu, so ist es immer noch in Ländern des globalen Südens, obwohl der Aussatz inzwischen heilbar ist. Doch gibt es in den wohlhabenden Ländern des Westens neue Formen der Lepra, die Menschen isolieren, abstoßend machen, die aber nicht allein durch Medikamente geheilt werden können. Ich denke an einen Freund, der eine Gefängnisstrafe verbüßt hat. Auf dem Arbeitsmarkt ist er wie ein Aussätziger, den alle meiden, dem keiner eine Arbeit anvertraut. Ich glaube, Jesus hat Mitleid mit ihm, so wie damals mit dem Aussätzigen, der sich Jesus nähert und um Hilfe bittet: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“
Jesus tat damals etwas ganz Unerlaubtes: „Er streckte die Hand aus und berührte ihn.“ Aus Angst vor Ansteckung war körperlicher Kontakt mit Leprakranken streng verboten. Ich glaube, Jesus tut das auch heute. Er hat vor unseren abstoßenden Krankheiten keine Abscheu, nicht einmal vor unseren Fehlern und Sünden. Beim Lesen des Evangeliums hilft es, sich selber in die handelnden Personen hineinzuversetzen. Dann beginnt es zu sprechen. Der Aussätzige, der bin ich selber. Mein Aussatz muss nicht körperlich sein, hat aber oft mit dem Körper zu tun. Wie viele von uns finden sich nicht schön, attraktiv genug, leiden darunter und können sich deshalb nicht leiden. Sie empfinden sich wie Aussätzige, die von anderen deshalb gemieden, nicht geschätzt werden.
Es gibt auch den Aussatz der Seele. Ich glaube, in jedem Menschen lebt eine Sehnsucht nach dessen Heilung: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“ Sind meine Absichten lauter, rein? In den Beziehungen, im Geschäft, in der Liebe? Bin ich aufrichtig und ehrlich? Lass ich mich von Vorurteilen leiten, von der öffentlichen Meinung und nicht von Tatsachen? Die Lepra entstellt Gesicht und Gliedmaßen des Erkrankten. Neid, Eifersucht und Hass können so stark werden, dass sie die Seele zerfressen.
Jesus hat den Aussätzigen mit einem einzigen Wort geheilt: „Ich will – werde rein!“ Die Heilung des seelischen Aussatzes ist eine Lebensaufgabe. Sie bedeutet, immer neu sich selber anzunehmen, an sich zu arbeiten, nicht aufzugeben. Nichts heilt dabei mehr als zu wissen, dass da Einer ist, der mich wirklich annimmt, ganz und gar.
Markus 1,40-45
In jener Zeit kam ein Aussätziger zu Jesus und bat ihn um Hilfe; er fiel vor ihm auf die Knie und sagte: Wenn du willst, kannst du mich rein machen. Jesus hatte Mitleid mit ihm; er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will – werde rein! Sogleich verschwand der Aussatz und der Mann war rein. Jesus schickte ihn weg, wies ihn streng an und sagte zu ihm:
Sieh, dass du niemandem etwas sagst, sondern geh, zeig dich dem Priester und bring für deine Reinigung dar, was Mose festgesetzt hat – ihnen zum Zeugnis. Der Mann aber ging weg und verkündete bei jeder Gelegenheit, was geschehen war; er verbreitete die Geschichte, sodass sich Jesus in keiner Stadt mehr zeigen konnte; er hielt sich nur noch an einsamen Orten auf. Dennoch kamen die Leute von überallher zu ihm.