Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 24. März 2024
Der Esel hat es mir angetan. Ich mag ihn, fast wie einen Bruder. Natürlich steht Jesus im Mittelpunkt. Um seinen feierlichen Einzug in Jerusalem geht es heute. Er ist das Thema des Palmsonntags. Und doch ist es auffällig, dass von den zehn Versen des heutigen Evangeliums ganze sieben sich ausschließlich um die Beschaffung eines Reittiers drehen. Der Esel wird wohl nicht gewusst haben, warum ihm so viel Ehre zuteilwird, genauso wenig wie Ochs und Esel im Stall von Bethlehem, als in ihrer Futterkrippe im Heu, das für sie gedacht war, ein kleines neugeborenes Kind lag.
So möchte ich heute über dieses Fohlen, diesen Jungesel nachdenken. Ich glaube, er hat uns einiges zu sagen. Doch zuerst ein Wort über Jesu Reisegewohnheiten. Wie die große Mehrheit der Menschen seiner Zeit waren seine Füße sein einziges „Fahrzeug“. Die Evangelien berichten von gelegentlichen Bootsfahrten über den See Genesareth. Sonst legte Jesus alle Wegstrecken zu Fuß zurück. Verständlich, dass gelegentlich berichtet wird, er habe sich, müde vom Weg, an einen Brunnenrand gesetzt, um zu rasten. Wie oft hat er, seit seiner Kindheit, den mehrere Tage erfordernden Weg von Galiläa nach Jerusalem zurückgelegt? Vermutlich mehrmals im Jahr, zu den großen jüdischen Festen, zumindest jährlich zu Pessach.
So ist er auch jetzt ganz nahe von Jerusalem, in zwei Vororten, von denen aus man schon Jerusalem sieht. Diesmal will er nicht zu Fuß als Pilger in die Stadt kommen. Er hat einen genauen Plan. Er hat ein Wort des Propheten Sacharja im Sinn, das ganz zu lesen sich lohnt: „Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Denn dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist bescheiden und reitet auf dem Fohlen einer Eselin. Ich vernichte die Streitwagen aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet für die Völker den Frieden.“ So will Jesus seinen Einzug in Jerusalem verstanden wissen. Was er tut, ist Ausdruck seiner Sendung, ist Inhalt seiner Botschaft. Nicht noch mehr Waffen fordert er, sondern wehrlos als Friedensbote zieht er ein in Jerusalem. Den Preis dafür wird er in wenigen Tagen mit dem Kreuzestod bezahlen. Der Lohn dafür wird nicht ein irdisches Reich sein, sondern ein offener Himmel: die Auferstehung am Ostermorgen!
Doch zurück zum Jungesel. Jesus hat ihn sich nur ausgeborgt. Nach Beendigung seines Dienstes wurde er seinem Besitzer zurückerstattet. Was war sein weiteres Schicksal? Wem diente er als Reittier? Wurde er gar nur ein Packesel, dem man ohne Hemmungen, bis an die Grenze des Zusammenbrechens, schwere Lasten aufbürdete? Irgendwann starb auch er. Aber eines blieb ihm für immer: Jesus hat ihn, nur ihn, unter allen Eseln von Jerusalem, auserwählt. Er war noch jung, „noch nie hatte ein Mensch auf ihm gesessen“. Jesus war der erste Mensch, dem er als Reittier dienen durfte. Er war ganz wörtlich ein „Christophorus“. Der Name Christoph bedeutet ja im Griechischen „Christusträger“.
Das berührt mich an diesem Jungesel. Wie viele Menschen haben im Leben schwere Lasten zu tragen, manchmal bis zum Zusammenbrechen. Paulus sagt: „Einer trage des anderen Last. So werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Ahnen wir, dass wir, wie der Esel, der Jesus trug, Ihn zueinander tragen, wenn wir einander (er)tragen? Und noch eines: Der heilige Franziskus hat, schon schwer krank, Gott für seinen Leib gedankt und ihn „Bruder Esel“ genannt. Danken auch wir für diesen Bruder, der uns und einander und füreinander durchs Leben trägt!
Markus 11,1-10
Es war einige Tage vor dem Paschafest. Als sie in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Bétfage und Betánien am Ölberg, schickte Jesus zwei seiner Jünger aus. Er sagte zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor euch liegt; gleich wenn ihr hineinkommt, werdet ihr einen jungen Esel angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet das Fohlen los
und bringt es her! Und wenn jemand zu euch sagt: Was tut ihr da?, dann antwortet: Der Herr braucht es; er lässt es bald wieder zurückbringen. Da machten sie sich auf den Weg und fanden außen an einer Tür an der Straße ein Fohlen angebunden und sie banden es los. Einige, die dabeistanden, sagten zu ihnen: Wie kommt ihr dazu, das Fohlen loszubinden? Sie gaben ihnen zur Antwort, was Jesus gesagt hatte, und man ließ sie gewähren. Sie brachten das Fohlen zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Tier und er setzte sich darauf. Und viele breiteten ihre Kleider auf den Weg aus, andere aber Büschel, die sie von den Feldern abgerissen hatten. Die Leute, die vor ihm hergingen und die ihm nachfolgten, riefen: Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe!