Angesichts der dramatischen Entwicklungen, die alle gegen den Frieden zu laufen scheinen, ist eine Besinnung auf den Heiligen Geist sinnvoll, ja wohl notwendig.
Angesichts der dramatischen Entwicklungen, die alle gegen den Frieden zu laufen scheinen, ist eine Besinnung auf den Heiligen Geist sinnvoll, ja wohl notwendig.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom Pfingstsonntag, 19. Mai 2024
Der Roman „Die Waffen nieder!“ (1889) machte Bertha von Suttner berühmt. Sie wurde Österreichs große Friedensaktivistin. Unermüdlich kämpfte sie für Friedensinitiativen. Belächelt, als Frau von den Politikern nicht ernstgenommen, erhielt sie dennoch 1905 den Friedensnobelpreis. Sie starb 1914, wenige Wochen vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Warum kommt sie mir gerade am heutigen Pfingstfest in den Sinn? Weil wir wieder in einer Zeit massiver Aufrüstung leben. Es braucht Waffen! Das scheint der neue, weltweite Ruf zu sein. Als Papst Franziskus von der Weißen Fahne gesprochen hat und damit zu Friedensverhandlungen aufrief, ist man weltweit über ihn hergefallen. Die Rüstungsausgaben haben einen schwindelerregenden Höchststand erreicht. Er wird noch weiter wachsen.
Doch nochmals: Warum beschäftigt mich diese Frage gerade am Pfingstfest so intensiv? Im heutigen Evangelium kommt Jesus mit dem schlichten Gruß „Friede sei mit euch!“ zu seinen Jüngern. Der Wunsch „Friede sei mit euch“ ist ihm so wichtig, dass er ihn nochmals wiederholt und ihn mit einem Auftrag verbindet: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Seine Sendung war es, Frieden zu bringen. Diesen Auftrag gibt er an seine Jünger weiter. Seinen Frieden sollen sie empfangen und weitergeben. Eine Geste Jesu will das bezeichnen und verwirklichen: „Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte: Empfangt den Heiligen Geist!“
Der Friedensauftrag Jesu hat also mit dem Heiligen Geist zu tun. Um diesen geht es am heutigen Pfingstfest. Angesichts der dramatischen Entwicklungen, die alle gegen den Frieden zu laufen scheinen, ist eine Besinnung auf den Heiligen Geist sinnvoll, ja wohl notwendig. Doch was soll der Heilige Geist ausrichten gegen den mächtigen Geist des internationalen Wettrüstens? War nicht schon immer die Friedenstaube, das Symbol des Heiligen Geistes, ein ohnmächtiger Vogel, der einfach abgeschossen wurde, heute mit den modernsten Drohnen? Wurden nicht über Jahrhunderte von „christlichen Nationen“ Kriege geführt, bis hin zum „Heiligen Krieg“, den Russland mit dem Segen seiner orthodoxen Kirche gegen die Ukraine führt? Rechtfertigen solche „Heiligen Kriege“ nicht hinreichend, dass die Länder, die für die „wahren Werte“ stehen, sich entsprechend aufrüsten? Bleibt am Schluss nur die traurige Feststellung: Kriege hat es immer gegeben, es wird sie auch in Zukunft immer geben? Die alte Weisheit der Römer scheint sich zu bewahrheiten: „Wenn du Frieden willst, rüste für den Krieg!“
Ein Schlüssel liegt, so glaube ich, im letzten Wort des heutigen Evangeliums. Jesus haucht seine Jünger mit dem Geist an. Seinen Geist sollen sie empfangen. Die erste Wirkung des Heiligen Geistes ist die Gabe der Vergebung der Sünden. Kriege entstehen nur aus Sünden: Machtgier, Hochmut, Stolz, Eitelkeit, Rachsucht, Unversöhnlichkeit. Frieden entsteht nicht von selbst. Er bleibt auch nicht von selber bestehen, nur weil man sich an ihn gewöhnt hat. Frieden im eigenen Herzen ist die Voraussetzung für Friedensverhandlungen. Das Eingestehen der eigenen Sünden und Fehler macht bereit, die Waffen niederzulegen. Dafür ist es nie zu spät.
Johannes 20, 19–23
Am Abend des ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden bei verschlossenen Türen beisammen waren, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten.