Gläubige Juden freuen sich die ganze Woche auf den Sabbat. Er ist nicht einfach eine Ruhepause in der Arbeitswoche, sondern deren Höhepunkt.
Gläubige Juden freuen sich die ganze Woche auf den Sabbat. Er ist nicht einfach eine Ruhepause in der Arbeitswoche, sondern deren Höhepunkt.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 2. Juni 2024
Gerne erinnere ich mich an die Einladung eines jüdischen Freundes, mit ihm und seiner Familie das Sabbat-Abendessen zu teilen. Der Sabbat beginnt am Freitagabend und endet am Samstagabend. Mir fiel vor allem die freudige Stimmung auf. Denn gläubige Juden freuen sich die ganze Woche auf den Sabbat. Er ist nicht einfach eine Ruhepause in der Arbeitswoche, sondern deren Höhepunkt. Denn für Juden gilt das Wort, das Jesus heute im Evangelium sagt: „Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht.“ Dazu hat Gott den siebten Tag der Woche als Ruhetag bestimmt. Er soll festlich und freudig gefeiert werden.
Wieso hatte dann Jesus immer wieder mit frommen Vertretern seines eigenen Volkes Konflikte wegen des Sabbats? Von zweien berichtet das heutige Evangelium. Der erste ging noch halbwegs glimpflich aus. Der zweite hingegen endete dramatisch: „Da gingen die Pharisäer hinaus (aus der Synagoge) und fassten zusammen mit den Anhängern des Herodes den Beschluss, Jesus umzubringen.“ Wie konnte es zu einem derart extremen Verhalten kommen, nur wegen eines Streites um die Sabbatruhe?
Hilfreich ist ein Blick auf die Sonntagsruhe, die sozusagen das christliche Erbe der Sabbatruhe ist. Die zehn Gebote haben Juden und Christen gemeinsam. Das dritte Gebot lautet: „Du sollst den Tag des Herrn heiligen!“ In der katholischen Kirche galten strenge Regeln für die Sonntagsruhe. Ich erinnere mich noch gut an meine Kinderzeit. Den Messbesuch am Sonntag zu versäumen galt als schwere Sünde. Sogenannte „knechtische Arbeit“ war am Sonntag verboten. Heute werden alle diese Gebote locker gehandhabt. Trotzdem wird nach wie vor um die Sonntagsöffnung der Geschäfte gerungen. In der „Allianz für den Sonntag“ kämpfen Kirchen und Gewerkschaften gemeinsam für den freien Sonntag, mit dem Argument Jesu: Der Sabbat beziehungswiese der Sonntag ist um des Menschen willen da. Deshalb muss er arbeitsfrei bleiben!
Zurück zum Ausgangskonflikt. Hat Jesus die Sabbatruhe verletzt? Genau das ist der Vorwurf der gesetzestreuen Pharisäer. Im ersten Fall geht Jesus mit seinen Jüngern durch ein Kornfeld. Die Jünger reißen unterwegs Ähren ab, um die Körner zu essen. Der Grund ist klar: Sie haben Hunger. Ein Zeichen, dass sie echt arm waren. Darf man nicht den Sabbat brechen, um den Hunger zu stillen? Ist das Sabbatgebot unmenschlich? Daher Jesu Argument: Der Sabbat ist für den Menschen da! Aber genau deshalb wollen die Frommen ihn ja schützen. Die strengen Regeln der Sabbatruhe sollen vor Ausbeutung der Menschen durch Arbeit schützen! Aus eben diesem Grund kämpft die „Allianz für den Sonntag“ um die Arbeitsruhe am Sonntag, damit der Mensch nicht nur ein Arbeitstier ist, sondern für Freizeit, Familie und auch für die Ausübung der Religion Zeit hat.
Doch wie weit reicht der Schutz der Sabbat-/Sonntagsruhe? Darum geht es im zweiten Konflikt. Jesu Gegner beobachten kritisch, ob er am Sabbat heilen werde. Sie suchen einen Grund zur Anklage. Da bringt Jesus auf den Punkt, worum es im Ruhegebot geht: „Was ist am Sabbat erlaubt, Gutes zu tun oder Böses?“ Seine Gegner schweigen, Jesus sieht sie der Reihe nach an, voll Zorn und Trauer über ihre Herzenshärte. Sie stellen das Gesetz über das Wohl des Menschen. Doch geht es in allen Geboten Gottes letztlich immer darum, Leben zu schützen und zu retten, nicht es zu vernichten. Es ist gut und wichtig, die Sabbat-/Sonntagsruhe zu schützen. Um des Menschen willen ist sie da. Um des Menschen willen darf, ja muss sie notfalls auch gebrochen werden. Das sagt die Vernunft, das fordert die Menschlichkeit. Nur dann kann der Sabbat freudig gefeiert werden, wie ich es bei meinem Freund erleben durfte.
Markus 2,23 – 3,6
An einem Sabbat ging Jesus durch die Kornfelder und unterwegs rissen seine Jünger Ähren ab. Da sagten die Pharisäer zu ihm: Sieh dir an, was sie tun! Das ist doch am Sabbat nicht erlaubt. Er antwortete: Habt ihr nie gelesen, was David getan hat, als er und seine Begleiter hungrig waren und nichts zu essen hatten, wie er zur Zeit des Hohepriesters Ábjatar in das Haus Gottes ging und die Schaubrote aß, die außer den Priestern niemand essen darf, und auch seinen Begleitern davon gab? Und Jesus sagte zu ihnen: Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat. Deshalb ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat. Als er wieder in die Synagoge ging, war dort ein Mann mit einer verdorrten Hand. Und sie gaben Acht, ob Jesus ihn am Sabbat heilen werde; sie suchten nämlich einen Grund zur Anklage gegen ihn. Da sagte er zu dem Mann mit der verdorrten Hand: Steh auf und stell dich in die Mitte! Und zu den anderen sagte er: Was ist am Sabbat erlaubt – Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder es zu vernichten? Sie aber schwiegen. Und er sah sie der Reihe nach an, voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz, und sagte zu dem Mann: Streck deine Hand aus! Er streckte sie aus und seine Hand wurde wiederhergestellt. Da gingen die Pharisäer hinaus und fassten zusammen mit den Anhängern des Herodes den Beschluss, Jesus umzubringen.