Wie reagiert seine Heimatstadt auf den „neuen“ Jesus? Mit Überraschung und Staunen: „Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist?“ Wie kann er solche Wunder wirken?
Wie reagiert seine Heimatstadt auf den „neuen“ Jesus? Mit Überraschung und Staunen: „Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist?“ Wie kann er solche Wunder wirken?
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 7. Juli 2024
Abgelehnt werden ist etwas vom Schmerzlichsten im Leben, besonders wenn es einem zu Hause, bei den Seinen, in der eigenen Heimat widerfährt. Jesus musste diese Erfahrung machen. Sie dürfte ihn so verletzt haben, dass er danach nie mehr nach Nazareth kam, wo er fast dreißig Jahre gelebt hatte. Dort war er aufgewachsen, nach der kurzen Zeit der Flucht nach Ägypten als kleines Kind. In Nazareth lebte seine Großfamilie. Hier hat er seine Kindheit, seine Jugend verbracht, hier hat er seinen Beruf erlernt und ausgeübt. Er dürfte gut integriert gewesen sein, ohne besonders aufzufallen. Über seine Jahre in Nazareth wissen wir praktisch nichts. Wie sah sein Alltag aus? Wie sein Umgang mit den anderen seines Alters? Wie sahen ihn seine Verwandten, seine Freunde? Sein Leben dürfte so „normal“ gewesen sein, dass nichts Berichtenswertes festgehalten wurde.
Alles hat sich geändert, seit Jesus von Johannes im Jordan getauft wurde. Ist er selber ein anderer geworden? Ist etwas in ihm erwacht, das dreißig Jahre lang verborgen in ihm geschlummert hat? Er beginnt zu predigen, es sammeln sich Menschen um ihn, die sein Wanderleben teilen. Scharen von Menschen kommen, wo immer er auftritt. Seine Worte berühren die Menschen. Er redet nicht wie die üblichen Prediger. Was er sagt, ist anschaulich, lebendig, aus dem Leben gegriffen. Er erreicht die Herzen, nicht nur den Verstand. Dazu kommen viele Heilungen, Wunder, durch sein bloßes Wort.
Wie reagiert seine Heimatstadt auf den „neuen“ Jesus? Mit Überraschung und Staunen: „Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist?“ Wie kann er solche Wunder wirken? Auf das Staunen folgt schnell die Ablehnung. Was ist passiert? Es lohnt sich, dem nachzugehen. Wir erleben so viele Formen der Ablehnung, in den Familien, in der Gesellschaft, zwischen den Ländern und Völkern. Warum kommt es dazu? Im Falle Jesu dürfte es sich um die häufigste Form der Ablehnung handeln: Wir glauben, den anderen zu kennen. Wir haben unsere vorgefasste Meinung über ihn und sind nicht bereit, unsere Sicht zu ändern. Die Leute von Nazareth sind überzeugt, Jesus bestens zu kennen: „Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria?“ Wir kennen doch seine ganze Familie, Brüder und Schwestern, seine Verwandtschaft. Wieso nimmt Jesus sich für etwas Besonderes, Besseres? Der Evangelist Lukas berichtet, wie die Ablehnung Jesu so weit ging, dass sie ihn umbringen wollten.
Die häufigste Form der Ablehnung ist es, nicht zu ertragen, dass andere anders sind. Im Falle Jesu kommt etwas dazu, das die Sache noch schwieriger macht: Jesus trat mit einem Anspruch auf, einer Aufforderung, die man nur annehmen oder ablehnen konnte. Er sprach von einer Entscheidung: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“
In Nazareth wäre man ganz begeistert gewesen, wenn Jesus ein „tolles“ Wunder vor aller Augen gewirkt hätte. So aber fordert der Zimmermann, mit dem sie ganz normal zusammengelebt hatten, von ihnen, seinen Mitbürgern, sie sollen ihr Leben ändern und der Botschaft glauben, die er verkündet. Im Klartext: Jesus erwartet von ihnen nicht Applaus, sondern Glauben! Glauben an Gott und Glauben an ihn, den „Sohn der Maria“. Sie sollen glauben, dass der, den sie so gut zu kennen meinen, der Sohn Gottes ist. Menschlich verständlich, dass sie damit aufs Erste überfordert waren. Einige von ihnen haben später den Schritt getan und sind Jünger Jesu geworden, so der „Herrenbruder Jakobus“, der die erste Gemeinde in Jerusalem, die „Urkirche“ geleitet hat. Oft frage ich mich: Ist das sogenannte „christliche Europa“ inzwischen wie das Nazareth von damals geworden, von dem es heißt: Jesus „wunderte sich über ihren Unglauben“?
Markus 6,1b-6
In jener Zeit kam Jesus in seine Heimatstadt; seine Jünger folgten ihm nach. Am Sabbat lehrte er in der Synagoge. Und die vielen Menschen, die ihm zuhörten, gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Woher hat er das alles? Was ist das für eine Weisheit, die ihm gegeben ist? Und was sind das für Machttaten, die durch ihn geschehen? Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm. Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends ist ein Prophet ohne Ansehen außer in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie. Und er konnte dort keine Machttat tun; nur einigen Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Und er wunderte sich über ihren Unglauben. Und Jesus zog durch die benachbarten Dörfer und lehrte dort.