Das tägliche Brot, um das wir Gott bitten sollen, ist sicher immer auch das leibliche Nahrungsmittel. Mindestens so lebenswichtig ist aber die Zuwendung, die Wertschätzung, kurz: die Liebe.
Das tägliche Brot, um das wir Gott bitten sollen, ist sicher immer auch das leibliche Nahrungsmittel. Mindestens so lebenswichtig ist aber die Zuwendung, die Wertschätzung, kurz: die Liebe.
Gedanken zum Evangelium, von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 4. August 2024 (Johannes 6,24-35).
In der Bibel heißt es: „Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort aus Gottes Mund.“ Doch ohne Brot, ohne Nahrung stirbt der Mensch. Daher die tägliche Sorge um das tägliche Brot. Hungersnöte hat Europa schon länger nicht gekannt. Andere Teile der Welt erleben sie eben jetzt, wie etwa der Sudan.
Sorgen wegen der Lebensmittelpreise drücken auch bei uns nicht wenige Menschen. Jesus hat immer wieder ermahnt und ermutigt: „Macht euch keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht.“ Gleichzeitig lehrt uns Jesus, im „Vaterunser“ Gott zu bitten: „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ Will er uns nur daran erinnern, dass es nicht selbstverständlich ist, genug zu essen zu haben? Ich bete diese Bitte oft ganz bewusst in dieser Haltung und stelle mir vor, dass auch ich eines Tages die Hände ausstrecken könnte, die um Brot betteln.
Die Bitte um das tägliche Brot im „Vaterunser“ hat noch eine andere Seite. Von ihr spricht Jesus heute im Evangelium. Nach dem Wunder der Brotvermehrung, als Jesus fünftausend Menschen mit nur fünf Gerstenbroten reichlich gesättigt hatte, suchen ihn die Leute. Sie finden ihn schließlich am anderen Seeufer, in Kapharnaum. Jesus empfängt sie mit nüchternen Worten: „Ihr sucht mich … weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid.“ Es klingt wie ein Vorwurf: Geht es euch nur darum, satt zu werden? Ist das alles, wonach ihr verlangt? Jesus selber: „Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die für das ewige Leben bleibt.“
Immer wieder wird gegen Jesus die kritische Frage gestellt: Ist das nicht billige Vertröstung auf ein besseres Jenseits? Was hilft die Speise, die bis ins ewige Leben genügt, wenn Menschen hier Hunger leiden? Bertold Brecht bringt in seiner „Dreigroschenoper“ (1928) diesen Vorwurf einprägsam zum Ausdruck. Zwei Bettler singen die Ballade über die Frage: Wovon lebt der Mensch? Darin das oft zitierte Wort: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Die Begründung folgt: „Erst muss es möglich sein auch armen Leuten, vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.“
Der große Wiener Psychotherapeut Viktor Frankl (1905-1997), bei dem ich noch studieren durfte, war vom Gegenteil überzeugt. Er hat als Jude das Konzentrationslager überlebt und seine Erfahrungen niedergeschrieben. Sie haben ihn gelehrt, dass es das Wichtigste zum Überleben ist, im Leben einen Sinn zu sehen. Geht dieser verloren, dann fehlt auch die Kraft, die das Brot alleine nicht geben kann.
Das tägliche Brot, um das wir Gott bitten sollen, ist sicher immer auch das leibliche Nahrungsmittel. Mindestens so lebenswichtig ist aber die Zuwendung, die Wertschätzung, kurz: die Liebe. Ich erinnere mich an den Roman von Thyde Monnier „Liebe – Brot der Armen“ (1961). Der Titel sagt, was das lebenswichtige Brot ist. Wo es fehlt, verkümmert das Leben. Es ist das einzige Brot, das nicht schimmelt oder hart wird. Von diesem Brot spricht Jesus zu den Menschen, die ihn in Kapharnaum gesucht haben. Er selbst wird es geben. Dazu hat Gott ihn gesandt: „Das Brot, das Gott gibt, kommt vom Himmel herab und gibt der Welt das Leben.“ Der Streit wird sich daran entzünden, dass Jesus zu sagen wagt: „Ich bin das Brot des Lebens.“ Dieser Konflikt wird nächste Woche Thema sein.
In jener Zeit, als die Leute sahen, dass weder Jesus noch seine Jünger am Ufer des Sees von Galiläa waren, stiegen sie in die Boote, fuhren nach Kafárnaum und suchten Jesus. Als sie ihn am anderen Ufer des Sees fanden, fragten sie ihn: Rabbi, wann bist du hierhergekommen? Jesus antwortete ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Ihr sucht mich nicht, weil ihr Zeichen gesehen habt, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid. Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die für das ewige Leben bleibt und die der Menschensohn euch geben wird! Denn ihn hat Gott, der Vater, mit seinem Siegel beglaubigt. Da fragten sie ihn: Was müssen wir tun, um die Werke Gottes zu vollbringen? Jesus antwortete ihnen: Das ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat. Sie sagten zu ihm: Welches Zeichen tust du denn, damit wir es sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? Unsere Väter haben das Manna in der Wüste gegessen, wie es in der Schrift heißt: Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen. Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn das Brot, das Gott gibt, kommt vom Himmel herab und gibt der Welt das Leben. Da baten sie ihn: Herr, gib uns immer dieses Brot! Jesus antwortete ihnen: Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.