Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 25. August 2024
Zum Glauben kann niemand gezwungen werden. Glauben ist ein ganz persönlicher Akt. Eltern können den Glauben ihren Kindern vorleben, sie können sie nicht zum Glauben verpflichten. Jesus hat immer diese Freiheit geachtet. Er hat klargemacht, dass seine Jünger nur aus freiem Willen mit ihm sein und bleiben können. Daher seine Frage an die zwölf Apostel: „Wollt auch ihr weggehen?“
Damals wendete sich das Blatt in Jesu Weg. Nach dem großen Aufbruch der ersten Zeit seines Wirkens in Galiläa beginnt das Abbröckeln. Zuerst wenden sich die Volksscharen von ihm ab. Es wird stiller um Jesus. Er entspricht nicht den Erwartungen, die viele an ihn gerichtet hatten. Noch hielt der größere Jüngerkreis zu ihm. Jetzt, in Kafarnaum, da er vom Essen und Trinken seines Fleisches und Blutes spricht, regt sich heftiger Protest: „Diese Rede ist hart. Wer kann sie hören?“ Jesus macht ihnen klar, dass seine Worte nur im Glauben angenommen werden können: „Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben.“ Sie erschließen sich nur denen, die ihm Glauben schenken. „Daraufhin zogen sich viele seiner Jünger zurück und gingen nicht mehr mit ihm“.
Ich kann bei diesem Evangelium nicht umhin, an unsere Situation in Österreich zu denken. Im vergangenen Jahr sind 90.000 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten. Haben sie alle den Glauben an Jesus aufgegeben? Oder waren sie einfach mit der Kirche unzufrieden? Waren sie enttäuscht, wegen der Missbrauchsfälle empört? Wollten sie nur die Verpflichtung zum Kirchenbeitrag loswerden? Haben sie sich alle von Jesus abgewandt oder nur von der Institution Kirche? Diese Fragen bewegen mich zutiefst. Sie können mich nicht gleichgültig lassen. Ich suche deshalb im Evangelium Rat und Hilfe.
Die Frage Jesu an die Zwölf, seinen engsten Kreis, gibt mir die Antwort: „Wollt auch ihr weggehen?“ Jesus lässt ihnen die Freiheit. Bei ihm gibt es keinen Zwang. Wenn ich über den Weg der Kirche in unserem Land nachdenke, so muss ich eingestehen, dass er von viel Zwang geprägt war. Die große Mehrheit war katholisch, eine Minderheit evangelisch, fast keine Muslime, und ein gewisser Prozentsatz von Personen „ohne religiöses Bekenntnis“. Vieles in der Kirche war Tradition (was ja nicht von vornherein schlecht ist). Der Klerus hatte viel zu sagen und zu bestimmen. Die Laien durften mitarbeiten, mehr nicht. Aus der Kirche auszutreten galt vielfach noch als Schande. All das hat sich sehr verändert. Es ist nicht einfach schlechter geworden, sondern anders.
Was gibt mir Hoffnung? Die Antwort des Petrus: „Herr, zu wem sollen wir gehen?“ Jesus zwingt niemanden. Er lädt ein, damals wie heute. Petrus spürt, dass von Jesus wegzugehen für ihn keine Lösung ist: „Du hast Worte des ewigen Lebens!“ Die Zeiten ändern sich, auch die Kirche, die Gesellschaft, die religiöse Landschaft. Der Weg Jesu bleibt sein Angebot. Die mögliche Antwort: in aller Freiheit zum Glauben an ihn zu kommen.
Joh 6, 60–69
In jener Zeit sagten viele der Jünger Jesu, die ihm zuhörten: Diese Rede ist hart. Wer kann sie hören? Jesus erkannte, dass seine Jünger darüber murrten, und fragte sie: Daran nehmt ihr Anstoß? Was werdet ihr sagen, wenn ihr den Menschensohn aufsteigen seht, dorthin, wo er vorher war? Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben. Aber es gibt unter euch einige, die nicht glauben. Jesus wusste nämlich von Anfang an, welche es waren, die nicht glaubten, und wer ihn ausliefern würde. Und er sagte: Deshalb habe ich zu euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben ist. Daraufhin zogen sich viele seiner Jünger zurück und gingen nicht mehr mit ihm umher. Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt auch ihr weggehen? Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes.