Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 15. August 2024
Das heutige Fest erinnert mich an ein unvergessliches Erlebnis. Es hat mit Anton Bruckner zu tun, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr begangen wird. Es hat mit Maria zu tun, deren „Geburtstag zum Himmel“ als „Maria Himmelfahrt“ heute gefeiert wird. Es hat mit Papst Johannes Paul II. zu tun. 1998 kam der Papst zum dritten Mal nach Österreich. Höhepunkt seines Besuchs war eine Messe auf dem Wiener Heldenplatz. In diesem Rahmen hat er unter anderem Schwester Restituta Kafka seliggesprochen, die 1943 von den Nazis im Wiener Landesgericht enthauptet wurde. Ihr Mut und ihre Liebe zu den Mitgefangenen bleiben ein großes Zeugnis für echte Menschlichkeit.
Doch was ist das Erlebnis, das mir so unvergesslich in Erinnerung geblieben ist? Am Ende der Messe von Papst Johannes Paul II. wurde das wunderschöne „Ave Maria“ von Bruckner gesungen. Über den weiten Heldenplatz klangen die zarten Grußworte des Engels: „Gegrüßet seist du, Maria“. Höhepunkt, Mitte der Vertonung dieses wohl beliebtesten Mariengebetes sind die Worte: „und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus“. Anton Bruckner lässt den Namen Jesus dreimal singen, zuerst von den Männerstimmen, dann den Frauenstimmen, schließlich strahlender, fortissimo, von allen. Als die letzten Worte des Ave Maria verklungen waren, lag Stille über dem Heldenplatz. In diesem Moment, in die Stille hinein, begannen über der ganzen Stadt die Glocken zu läuten. Es war kein Einfall der Regie. Es war einfach genau zwölf Uhr. Von allen Kirchen läutete es zum „Angelus“, zum Mariengebet, zu dem die Kirchenglocken dreimal täglich einladen, in der Früh, zu Mittag und am Abend. Wer kennt noch den Sinn dieses Läutens? An diesem Tag war zum Greifen klar, worum es geht.
Noch heute bewegt mich dieser „Zufall“, dieses ungeplante Zusammenspielen des Chores, der Stille und der Kirchenglocken. Ich sah darin ein Zeichen des Himmels, einen Wink aus jener Welt, die uns unsichtbar umgibt, die uns oft so fern scheint und die uns doch so nahe ist. Genau darum geht es am heutigen Festtag. Maria, die Mutter Jesu, ist als ganzer Mensch, mit Leib und Seele, hinübergegangen in das ewige Leben, in die Wirklichkeit, die wir „Himmel“ nennen. Wie kein anderer Mensch wird Maria überall auf Erden von vielen als nahe erlebt. Anton Bruckner lässt in seinem „Ave Maria“ ahnen, dass es sich hier nicht um leere Worte handelt, sondern um Erfahrungen von Trost, Stärkung, Hilfe, Gnade, „jetzt und in der Stunde unseres Todes“. Unvergessliches Marienlob am Heldenplatz!
Lk 1, 39 - 56
In jenen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharías und begrüßte Elisabet. Und es geschah: Als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, in dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Und selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ. Da sagte Maria: Meine Seele preist die Größe des Herrn und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan und sein Name ist heilig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unsern Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig. Und Maria blieb etwa drei Monate bei ihr