Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 6.Oktober 2024
Sonntagsevangelium am 6. Oktober 2024, Mk 10, 2-12
Am Anfang sieht es meist rosig aus. Zwei Menschen schließen „den Bund fürs Leben“ und versprechen einander Treue „bis der Tod uns scheidet“. Es ist schön, mit Ehepaaren die goldene Hochzeit feiern zu dürfen. Rekordhalter in meinen über 50 Priesterjahren war eine 75-Jahr-Feier eines Ehepaars, die 19 und 20 waren, als sie geheiratet haben, und nun 94 und 95 waren. Der erfreulichen Bilanz gelungener oder zumindest nicht gescheiterter Ehen steht die hohe Zahl von Ehescheidungen gegenüber. Wie das Halten einer Ehe viele Gestalten hat, so auch deren Scheitern: einvernehmliche Trennung, mühsames, schmerzliches, konfliktreiches Auseinandergehen, neue Beziehungen, mehr oder weniger gelungener Umgang mit der Scheidung. Kein Wunder, dass die damit verbundenen Fragen und Probleme seit jeher die Menschen beschäftigen. Auch Jesus wird diesbezüglich befragt. In der von ihm gestifteten Gemeinschaft der Kirche kann die Frage der Ehescheidung und der Wiederverheiratung nicht ausbleiben.
Es konnte auch nicht ausbleiben, dass mich als Priester und Bischof der Umgang mit Geschiedenen und Wiederverheirateten seit jeher intensiv beschäftigt hat, schon deshalb, weil mich das Thema durch die Scheidung meiner Eltern von Jugend an betroffen hat. Darum berührt mich das heutige Evangelium besonders. Die Frage der Pharisäer an Jesus ist mir vertraut: Ist Scheidung erlaubt? Was sagt das Gesetz des Mose? Auf die Frage Jesu geben sie die korrekte Antwort: Man soll eine Scheidungsurkunde ausstellen. Heute besorgt das der Scheidungsrichter. Jesus stellt nicht in Frage, dass es die rechtliche Möglichkeit der Scheidung gibt. Er hebt aber das Thema auf eine andere Ebene. Es geht nicht nur um die rechtlichen Fragen der Scheidung. Zuerst ist es eine Herzensfrage: „Nur weil ihr so hartherzig seid, hat euch Mose dieses Gebot gegeben.“
Natürlich habe ich mir gewünscht, dass die Ehe meiner Eltern gelingt. Zu tief sitzt im Herzen des Menschen der Wunsch, dass Vater und Mutter eine liebende und glückliche Ehe führen: „Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ Niemand spürt das so stark wie die Kinder. Es entspricht dem, was Gott „am Anfang der Schöpfung“ wollte, indem er den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat, damit die zwei „ein Fleisch“ werden. Es ist deshalb keine Übertreibung, wenn bis heute das Wort Ehebruch gebraucht wird. Damit geht ja wirklich etwas Lebenswichtiges in Brüche.
Was tun, wenn die Ehe zerbricht? Vor Jahren habe ich, auch aus der eigenen Erfahrung, einige „Aufmerksamkeiten“ formuliert, die ich allen ans Herz lege, die eine neue Partnerschaft eingehen. Am wichtigsten ist die Sorge um die Kinder: Niemals dürfen sie im Ehekonflikt der Eltern zu Geiseln und Opfern des Rosenkrieges werden. Lasst die Kinder heraus! Jesus hat sie immer in Schutz genommen. Bei vielen Scheidungen bleibt ein Partner übrig, benachteiligt, oft vereinsamt: „Scheidungswitwen“ haben es schwer. Wer denkt an sie? Wenn beide in Streit oder gar Hass auseinandergegangen sind: Gibt es Schritte der gegenseitigen Vergebung? Unaufgearbeitete Schuld belastet alle Beteiligten. Wo war ich selber hartherzig? Wie finden wir zurück zum Anfang, zu Gott, dem wir alles verdanken, das Leben und die Liebe?
Aus dem heiligen Evangelium nach Markus.
Mk 10, 2–12
In jener Zeit kamen Pharisäer zu Jesus und fragten: Ist es einem Mann erlaubt, seine Frau aus der Ehe zu entlassen? Damit wollten sie ihn versuchen. Er antwortete ihnen: Was hat euch Mose vorgeschrieben? Sie sagten: Mose hat gestattet, eine Scheidungsurkunde auszustellen und die Frau aus der Ehe zu entlassen. Jesus entgegnete ihnen: Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot gegeben. Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie männlich und weiblich erschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen. Zu Hause befragten ihn die Jünger noch einmal darüber. Er antwortete ihnen: Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Und wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch.