Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am 13. Oktober 2024
Eigentlich hat er alles, um glücklich und zufrieden zu sein: Er ist jung (so berichtet es Matthäus) und er hat ein großes Vermögen. Ein sorgloses Leben liegt vor ihm, soweit überhaupt ein Leben ohne Sorgen möglich ist. Was treibt den jungen Mann an, zu Jesus zu laufen und ihm eine Frage hinzuwerfen, die ihn offensichtlich umtreibt: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Für sein irdisches Leben hat er ausgesorgt, denn er hat ein großes Vermögen geerbt. Genügt ihm das nicht? Reichen nicht die Sorgen des irdischen Lebens? Warum macht er sich Gedanken über das, was nach seinem Tod sein wird?
Mich beschäftigt an diesem Evangelium am meisten diese Frage des jungen Mannes: Muss ich etwas Besonderes tun, um das ewige Leben zu „erben“? Sterben muss ich sowieso. Ich glaube an ein Leben nach dem Tod. Ich glaube an das ewige Leben. So sage ich es jeden Sonntag als letzten Satz des Glaubensbekenntnisses. Es kommt also sicher auf mich zu, wenn ich sterbe. Erbe ich es nicht automatisch, so wie der junge Mann das Vermögen seiner Familie geerbt hat, ohne etwas selber dafür getan zu haben? Muss ich etwas tun, um es zu erben? Muss ich mir den Himmel verdienen? Kann ich ihn gar verlieren, verpassen, vertun? Mich berührt an dem jungen Mann, dass ihn diese Frage so stürmisch bewegt. Treibt sie auch mich um? Habe ich mir als junger Mensch die Frage nach dem ewigen Leben gestellt? Und wen bewegt sie von uns älteren Menschen?
Jesus gibt die Antwort, die ich schon als Kind gehört habe: Wenn du in den Himmel kommen willst, musst du die Gebote halten: „Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen“ (ich verstand als Kind nicht was das heißt!), „du sollst nicht stehlen“ (das verstand ich genau!), „du sollst nicht falsch aussagen“ (was Lügen heißt, wusste ich sehr wohl!), „du sollst keinen Raub begehen; ehre deinen Vater und deine Mutter“ (ich spürte, was das bedeutet!). Der reiche junge Mann gibt Jesus eine fast kindlich ehrliche Antwort: „Alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt.“ So könnte ich das von mir nicht sagen, aber ein lauteres Bemühen hatte ich.
Jesus sieht das gerade Herz dieses jungen Mannes. Seine Geste der Umarmung sagt es ohne Worte. Doch dann die Wende: „Eines fehlt dir noch!“ Er hat schon alles und spürt doch, dass es noch nicht reicht. Das Leben ist vergänglich. Geld beruhigt, macht aber nicht automatisch glücklich. Was bleibt, wenn im Tod alles zurückgelassen werden muss? Jesus lädt den jungen Mann ein, schon jetzt alles herzugeben, was er hat, und sich so „einen Schatz im Himmel“ zu erwerben und damit „das ewige Leben zu erben“.
Der Reiche schreckt davor zurück und geht traurig weg. Jesus sagt sein berühmtes Wort vom Kamel und dem Nadelöhr: So schwer ist es für einen Reichen, ins Reich Gottes zu kommen. Der Apostel waren alle arm. Sie hätten sich freuen können, dass wenigstens sie in den Himmel kommen werden. Stattdessen sind sie entsetzt: „Wer kann dann noch gerettet werden?“ Loslassen müssen wir alle. Uns allen fällt es schwer, reich oder arm. Deshalb Jesu so radikal klares Wort: „Für Menschen ist das unmöglich“! Das ewige Leben kannst du nicht verdienen, wie du auch eine Erbschaft nicht selber erworben hast. Der Himmel ist unverdientes Geschenk, wie die Liebe, wie das Leben. Nur einer fehlt uns: der, dem wir alles verdanken, er allein!
Mk 10, 17–27
In jener Zeit lief ein Mann auf Jesus zu, fiel vor ihm auf die Knie und fragte ihn: Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben? Jesus antwortete: Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer der eine Gott. Du kennst doch die Gebote: Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen, du sollst keinen Raub begehen; ehre deinen Vater und deine Mutter! Er erwiderte ihm: Meister, alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt. Da sah ihn Jesus an, umarmte ihn und sagte: Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach! Der Mann aber war betrübt, als er das hörte, und ging traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen. Da sah Jesus seine Jünger an und sagte zu ihnen: Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen! Die Jünger waren über seine Worte bestürzt. Jesus aber sagte noch einmal zu ihnen: Meine Kinder, wie schwer ist es, in das Reich Gottes zu kommen! Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt. Sie aber gerieten über alle Maßen außer sich vor Schrecken und sagten zueinander: Wer kann dann noch gerettet werden? Jesus sah sie an und sagte: Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich.