Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium vom 15. Dezember 2024
Heute, am dritten Adventsonntag, steht Johannes der Täufer im Mittelpunkt. Wer über den Sinn des Advents tiefer nachdenken will, tut gut daran, die Gestalt dieses nahen Verwandten Jesu näher zu betrachten. Ich entdecke immer neue Seiten an ihm. Man kann so viel von ihm lernen, von seinem Weg und seinem Schicksal. Einiges versuche ich heute wenigstens kurz zu skizzieren, als Anregung, selber über Johannes nachzudenken. Die Bibel berichtet zwar nicht besonders viel über den Täufer, doch bietet das Wenige reichlich Stoff für die persönliche Betrachtung. Ich sehe in Johannes vor allem den Mann des Advents. Seine Mission wurde es, auf das Kommen Jesu hinzuweisen.
Johannes war sechs Monate älter als Jesus. Wie genau deren Verwandtschaftsverhältnis war, wissen wir nicht, nur dass seine Mutter Elisabeth eine nahe Verwandte von Maria, der Mutter Jesu, war. Über die Jugend des Johannes wissen wir wenig, nur dass er früh begann, in der Wüste von Juda ein asketisches Leben zu führen. Ins Licht der Öffentlichkeit tritt Johannes auf Grund eines inneren Rufes, den er als Auftrag Gottes verstand. Er beginnt, die Menschen mit heftigen Bußpredigten aufzurütteln. Er muss als Persönlichkeit eine große Ausstrahlung gehabt haben. Obwohl er seinen Zuhörern nichts ersparte, kamen sie in großen Scharen in die unwirtliche Wüste, um ihn zu hören. Hier eine „Kostprobe“ seiner wenig schmeichelhaften Predigt:
„Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entkommen könnt? Bringt Früchte hervor, die eure Umkehr zeigen. (…) Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine guten Früchte hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.“ Die Drohbotschaft des Johannes passt so gar nicht zu unseren stimmungsvollen Adventmärkten. Sie hatten aber eine starke Wirkung. Er war für seine Zuhörer glaubwürdig. Seine Worte haben bewegt und die Herzen geöffnet. „Da fragten ihn die Scharen: was sollen wir also tun?“ Und nun das Erstaunliche: Er fordert als Zeichen der Umkehr keine außerordentlichen Bußwerke, sondern ganz schlichte Dinge: Wenn du genug Gewand hast, teile es mit dem, der keines hat, ebenso das Essen. Den Zöllnern, die die Steuern eintreiben, sagt er: „Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist.“ Und den Soldaten: Misshandelt und erpresst niemanden!
Mich bewegt im Blick auf Johannes die Frage: Brauchen wir auch heute echte, glaubwürdige Bußprediger, Menschen, die sich trauen, die Dinge beim Namen zu nennen? Warum sind die Menschen scharenweise zu Johannes gekommen, haben seine Predigten gehört und sich von ihm taufen lassen? Warum sind unsere Kirchen meist so leer? Fehlt es an Glaubwürdigkeit? An mutigen Zeugen? Johannes traute sich, Herodes klar zu machen, dass er nicht das Recht hat, die Frau seines Bruders zu heiraten. Dafür ließ ihn Herodes ins Gefängnis werden und schließlich enthaupten.
Jesus sah Johannes als einen ganz Großen. Hätte er ihn nicht aus dem Gefängnis befreien können? Er hat doch so viele Wunder gewirkt. Johannes bekam im Gefängnis Zweifel, ob Jesus wirklich der Messias, der verheißene Erlöser sei. Mich berührt an Johannes vor allem diese Glaubenskrise im Gefängnis. Hat Jesus ihn alleine gelassen? Doch hat Jesus auch sich selber nicht vom Tod gerettet. Zwei Worte des Johannes über Jesus: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“, und: „Er muss wachsen, ich muss abnehmen.“ So haben die Künstler Johannes gezeigt: Er weist mit seinem Leben und Sterben ganz auf den Kommenden, auf Jesus.
Lukas 3,10-18
In jener Zeit fragten die Leute Johannes den Täufer: Was sollen wir also tun? Er antwortete ihnen: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso! Es kamen auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und fragten ihn: Meister, was sollen wir tun? Er sagte zu ihnen: Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist! Auch Soldaten fragten ihn: Was sollen denn wir tun? Und er sagte zu ihnen: Misshandelt niemanden, erpresst niemanden, begnügt euch mit eurem Sold! Das Volk war voll Erwartung
und alle überlegten im Herzen, ob Johannes nicht vielleicht selbst der Christus sei. Doch Johannes gab ihnen allen zur Antwort: Ich taufe euch mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Schon hält er die Schaufel in der Hand, um seine Tenne zu reinigen und den Weizen in seine Scheune zu sammeln; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen. Mit diesen und vielen anderen Worten ermahnte er das Volk und verkündete die frohe Botschaft.