Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Festtagsevangelium vom 6. Jänner 2025
Manchmal denke ich mit Wehmut an die Welt, in der es noch kein elektrisches, künstliches Licht gab. Ich versuche mir vorzustellen, wie die Menschheit Jahrtausende lang damit gelebt hat, dass es in der Nacht einfach finster war. Nur der Mond und die Sterne leuchteten. Die Folge war wohl ein ganz anderes Verhältnis zum Himmel und zu seinen Gestirnen. Wer in der Nacht zum Himmel aufblickte, wurde durch keine heutige „Lichtverschmutzung“ vom Glanz des Sternenhimmels abgelenkt. Der Eindruck muss überwältigend gewesen sein. Wir erahnen ihn ein wenig, wenn wir, selten genug, einen von künstlichem Licht ungetrübten Nachthimmel erleben dürfen. Dann können wir uns vorzustellen versuchen, in welcher Welt die „Sterndeuter aus dem Osten“ lebten, die damals, zur Zeit Jesu, nach Jerusalem kamen. Sie waren vertraut mit der Sprache des Himmels, mit den Zeichen der Sterne. Sie waren Heiden, aber Gott sprach zu ihnen durch die Natur, so deutlich wie wir Heutigen es mit all unserer Zivilisation nicht kennen. Der Apostel Paulus sagt von ihnen: „Es ist ihnen offenbart, was man von Gott erkennen kann. Gott hat es ihnen offenbart. Seit Erschaffung der Welt wird nämlich seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen.“
Welcher Art war der Stern, der ihnen den Weg zum „neugeborenen König der Juden“ wies? Sie haben „seinen Stern aufgehen sehen“, mehr erfahren wir nicht. Doch bin ich sicher, dass es auch in unserer technisierten, lichtverwöhnten Welt vergleichbare Erfahrungen gibt. Immer wieder geht Menschen ein Licht auf, eine Erkenntnis leuchtet ihnen ein, die sie letztlich zur Quelle dieses Lichts führt, zum Glauben an Gott. Was es dafür braucht, ist nur das Eine: ein offenes, suchendes Herz und einen unverstellten Verstand. Der Stern, der die Weisen aus dem Osten zu Jesus führte, war vor allem das „innere Licht“, das jeden Menschen zu leiten bereit ist. Ich habe eine tiefe Zuversicht, dass wir alle im Innersten dieses Licht tragen. Das Traurige ist, dass wir es selber verdunkeln, ja dafür blind werden können. Wenn das geschieht, sprechen wir von Verblendung.
Wie Verblendung aussieht, zeigt in erschütternder Weise König Herodes. Warum erschrickt er, als er von den Sterndeutern hört, der Stern des neugeborenen Königs der Juden führe sie nach Jerusalem? Herodes war krankhaft um seine Herrschaft besorgt. Er wusste, dass er sich eigentlich zu Unrecht als König der Juden bezeichnete. Er verfolgte brutal alle, die ihm Konkurrenten werden konnten, bis zu den engsten Mitgliedern seiner Familie. Es ist immer neu das Schauspiel aller Tyrannen, die sich mit allen Mitteln an der Macht halten, von der sie wissen, dass sie sie eigentlich zu Unrecht in Besitz genommen haben. Die meisten Kriege und Konflikte in unserer Welt haben hier ihren Ursprung. Von Macht besessen hat der Tyrann nur eine Sorge: seine Macht zu erhalten. Das Unsinnige daran hat immer das gleiche Muster: Der Tyrann vergisst, dass er sterblich ist und nichts, gar nichts von seiner Macht mit ins Grab nehmen kann.
Warum heißt es, ganz Jerusalem sei mit Herodes über die Botschaft der Sterndeuter erschrocken? Weil wir alle in der Gefahr des Herodes sind und selber um das bisschen Macht und Besitz Angst haben, das wir doch einmal loslassen müssen. Der auffallendste Gegensatz zur Angst des Herodes ist die übergroße Freude der „Heiligen Drei Könige“, als der Stern sie schließlich zum Kind, zu Jesus, und zu Maria, seiner Mutter führte. Zwischen ihrem Weg und dem des Herodes haben wir selber zu wählen. Kein Zweifel: dem guten Stern zu folgen, auch im Neuen Jahr, bringt echte Freude und das Glück, das wir einander für 2025 wünschen.