Vom Segen der Dankbarkeit
Vom Segen der Dankbarkeit
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 14. Oktober 2001
(Lk 17, 11-19)
Vom Segen der Dankbarkeit
Wenn sie rechtzeitig erkannt wird, kann die Lepra heute geheilt werden.
Damals - und bis in unsere Zeit - war der “Aussatz” eine schreckliche Krankheit, die den Menschen völlig entstellte und den ganzen Leib langsam zerstörte. Nie werde ich den Anblick dutzender Leprakranker am Straßenrand in Nigeria vergessen, die bettelnd und hilfesuchend ihre verstümmelten Hände ausstreckten.
Die Aussätzigen mußten sich in einiger Entfernung von den Gesunden aufhalten und ihre Anwesenheit durch Glocken oder Rufe warnend ankündigen. Sie zu berühren war im jüdischen Gesetz - aus guten hygienischen Gründen - verboten.
Lepra - Horror und Hilfe
Jesus hat sich bisweilen darüber hinweggesetzt und Aussätzige berührt und geheilt. Sein Ruf zieht auch diese Gruppe erbarmungswürdiger Gestalten an. Voll Hoffnung rufen sie um seine Hilfe. Jesus schickt sie, wie es im Gesetz vorgeschrieben war, zu den Priestern. Ist ein Leprakranker geheilt, so muß er seine Heilung von den Priestern bestätigen lassen, um sicher zu sein, dass sie sicher ist und hält.
Allen zehn wird durch Jesu göttliche Kraft die Heilung geschenkt. Aber nur einer, ausgerechnet ein Fremder, geht zurück und bedankt sich bei Jesus.
Mir kommt bei dieser Szene aus dem Evangelium unsere österreichische, europäische Situation in den Sinn. Ist es nicht auch uns im Abendland so gegangen, dass Christus uns unendlich viel geschenkt hat durch den Glauben. Europa ist aus der Kraft des christlichen Glaubens aufgebaut worden. Ein Großteil unserer Kulturschätze bezeugen diese Glaubenskraft, die Dome und Klöster, aber auch die Spitäler und sozialen Einrichtungen, die in früheren Jahrhunderten aus dem Mitfühlen mit der Not der anderen entstanden sind. Viele Bildungseinrichtungen sind ursprünglich aus dem Mutterboden der christlichen Werthaltung gewachsen.
Heilkraft christlicher Werte
Heute neigen wir dazu, das alles für selbstverständlich zu betrachten, als Gegebenheit hinzunehmen. Wie leicht vergessen wir dabei die Dankbarkeit dafür, dass wir in einer Welt leben dürfen, die immer noch tief in den Werten des Evangeliums wurzelt. Immer noch ist es bei uns weitgehend selbstverständlich, dass ein Kranker damit rechnen kann, dass er behandelt und gepflegt wird, ob er nun reich oder arm ist. Immer noch ist es bei uns weitgehend garantiert, dass die Justiz, die Gerichte unabhängig urteilen, unbestechlich sind und arm und reich nicht nach zwei Maßstäben beurteilen. Das ist in vielen Ländern der Welt nicht gegeben, in denen die Lepra der Korruption, der Bestechung, der Ausbeutung der Armen den ganzen Körper der Gesellschaft zerfrißt oder zerstört.
Wissen wir genügend, wie sehr unser Leben (noch) von den christlichen Werten geprägt ist, die unsere Kultur von diesen Übeln geheilt haben? Es ist Zeit, daran zu denken, wem wir diese Heilung verdanken und umzukehren und Christus zu danken. Sein Evangelium hat große Heilkraft. Und Dankbarkeit ist allemal ein Segen.
Der dankbare Samariter
Auf dem Weg nach Jerusalem zog Jesus durch das Grenzgebiet von Samarien und Galilääa.
Als er in ein Dorf hineingehen wollte, kamen ihm zehn Aussätzige entgegen. Sie blieben in der Ferne stehen und riefen: Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns!
Als er sie sah, sagte er zu ihnen: Geht, zeigt euch den Priestern ! Und während sie zu den Priestern gingen, wurden sie rein.
Einer von ihnen aber kehrte um, als er sah, dass er geheilt war; und er lobte Gott mit lauter Stimme.
Er warf sich vor den Füßen Jesu zu Boden und dankte ihm. Dieser Mann war aus Samarien.
Da sagte Jesus: Es sind doch alle zehn rein geworden. Wo sind die übrigen neun?
Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden?
Und er sagte zu ihm: Steh auf und geh! Dein Glaube hat dir geholfen.