Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.
Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 3. Adventsonntag, 16.12.2001
(Mt 11, 2 -11)
Gaudete heißt der 3. Adventsonntag, “freut euch!”. So beginnt heute der Gottesdienst. Viele Adventkränze habe als dritte Kerze eine rosafarbene, als Zeichen der Freude, dass Weihnachten, das Kommen Jesu Christi, nahe ist.
Im heutigen Evangelium kommt die Freude freilich zuerst noch nicht in den Blick. Vielmehr sehen wir einen, der es sicher nicht verdient hat, im Gefängnis. Johannes der Täufer hat den Mut gehabt, dem König Herodes ins Gewissen zu reden, es sei ein Unrecht, dass er sich Herodias, die Frau seines Bruders, genommen habe. Herodias hasste ihn deswegen und wollte sich rächen. Auf ihr Betreiben hat Herodes ihn ins Gefängnis werfen lassen, und sie wird schließlich auch noch seinen Kopf fordern und bekommen.
Im Gefängnis erlebt Johannes eine tiefe Krise, Dunkelheit und Zweifel, innere Nacht. Hat er sich getäuscht? Hat Gott ihn getäuscht? Was er von Jesus hört, passt nicht zu dem, was er sich erwartet hat. Er hatte eine radikale Wende angekündigt. Endlich werde Gott durch seinen Gesandten, den Messias, dem Unrecht ein Ende setzen, Frieden und Gerechtigkeit auf Erden bringen. Statt dessen wächst überall das Böse, er selber muss es am eigenen Leib erleben, und Gott schweigt, und Jesus, auf den er seine Hoffnung gesetzt hat, scheint die Wende nicht zu schaffen. Es wird nicht besser, sondern schlimmer. In seiner inneren Not schickt er jemanden zu Jesus und lässt ihn direkt fragen: Bist du der Erlöser - oder habe ich mich getäuscht?
Das ist ein Hilferuf eines Menschen, dem alles sinnlos zu werden droht.
Es ist ein Trost zu sehen, dass selbst so große Menschen wie Johannes durch Dunkelheiten gehen mussten, die vielen auch heute nicht erspart bleiben, wenn etwa schwere Krankheit oder ein Unfall alle Lebenspläne durchkreuzen, wenn Erfahrungen der Verlassenheit, der Einsamkeit allen Sinn des Lebens in Frage stellen. Da ist Johannes wirklich ein Bruder in der Not.
Jesus gibt ihm keine direkte Antwort. “Berichtet dem Johannes, was ihr seht und hört”.
Es tut sich doch etwas: Blinde sehen wieder, Taube hören, Lahme gehen! Und die Frohe Botschaft kommt zu den Armen.
Das geschieht auch heute. Immer wieder werden Menschen auf wunderbare Weise geheilt. Allein am Marienwallfahrtsort Lourdes sind bis jetzt 54 Heilungen auch von den Ärzten als unerklärlich anerkannt worden. Und das Evangelium ist wirklich in alle Winkel der Welt gelangt.
Und doch bleibt die bohrende Frage, die Johannes den Täufer im Gefängnis quälte: Sollen wir vielleicht auf einen anderen, erfolgreicheren Messias und Retter warten? Viele meinten das im 20. Jahrhundert, als sie “Heil Hitler” riefen und von ihm die Lösung aller Probleme erwarteten. Umso bitterer war die Enttäuschung.
Jesus hat nicht ein Heil versprochen, das alle Nöte beseitigt. “Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt”. Damit sagt er: Ja, ich bin es, der Messias und Heiland, aber stoße dich nicht daran, dass ich scheinbar so ohnmächtig bin. Jesus rettet Johannes nicht aus dem Gefängnis und vor dem Tod. Er hat sich selber nicht vor dem Kreuz gerettet. Und er verhindert nicht, dass uns Kummer und Leid widerfahren.
Aber er schenkt die Kraft des Glaubens. Er zeigt, wie groß Johannes der Täufer war, weil er auf Gott gebaut hat, und nicht auf Luxus und Bequemlichkeit. Und jeder, der auf den Glauben an Ihn setzt, und Ihm vertraut, den nennt er “groß im Himmelreich”.
Der Beginn der Entscheidung: Die Frage des Täufers
Johannes hörte im Gefängnis von den Taten Christi. Da schickte er seine Jünger zu ihm
und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten?
Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium verkündet.
Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.
Das Urteil Jesu über den Täufer
Als sie gegangen waren, begann Jesus zu der Menge über Johannes zu reden; er sagte: Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt?
Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Leute, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige.
Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja, ich sage euch: Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten.
Er ist der, von dem es in der Schrift heißt: Ich sende meinen Boten vor dir her; / er soll den Weg für dich bahnen.
Amen, das sage ich euch: Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.