Vater, die Stunde ist da!
Vater, die Stunde ist da!
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 7. Sonntag der Osterzeit, 12.05.2002
(Joh 17,1-11a)
Nicht alles gehört in die Öffentlichkeit. Es gibt eine Intimsphäre, die zu schützen ist. Dazu gehört auch das persönliche Gebet. Was ich im innersten Herzen vor Gott bringe, das ist mein Geheimnis, um das nur Gott und ich wissen. Es wirkt leicht peinlich, wenn jemand sein Persönlichstes preisgibt. In bestimmten Momenten ist das freilich anders. Einen solchen Augenblick sehen wir im heutigen Evangelium.
Es ist die Nacht vor seinem Tod. Jesus ist mit seinen Jüngern beisammen. In dieser ernsten Stunde spricht er Worte des Abschieds. Er vertraut seinen Freunden das an, was ihn bewegt, er öffnet ihnen sein Herz. Nachdem er lange zu ihnen gesprochen hat (im Johannesevangelium die Kapitel 13-15) wird er noch persönlicher: Er betet vor ihnen. Es ist das einzige längere persönliche Gebet Jesu, das überliefert ist. Oft wird berichtet, dass er sich in die Einsamkeit auf die Berge zurückzog, um mit Gott alleine zu sein. Über den Inhalt seines Betens schweigen die Evangelien mit wenigen Ausnahmen.
Das erste Wort seines Gebetes in dieser langen Nacht heißt: Vater!
Im Bund Jesu muss es einen ganz besonderen Klang gehabt haben. In der frühen Kirche erinnerte man sich, dass er dafür das kindliche “Abba” verwendete, “Papa” oder “Papi”. Mit diesem Wort sollen auch wir Gott anreden, wenn wir “Vaterunser” beten. Hinter diesem Wort steht eine Haltung: Vertrauen, völliges Zutrauen, nicht Angst und Schrecken, sondern Nähe und Zuversicht.
“Vater, die Stunde ist da!” Dieses feierliche Wort weist auf das Bevorstehende, die Stunde des Leidens, die nahe Todesstunde. Eigentlich das Ende. Die letzte Stunde hat geschlagen. Jesus weiß, wie sie aussehen wird. Aber es klingt keine Panik, keine Verzweiflung in diesem Wort. Es ist nicht die Angst eines Ausweglosen. Fast klingt es wie siegessicher: Die entscheidende Stunde ist da, und sie wird nicht das Ende bedeuten.
Jesus bittet Gott: Verherrliche mich, damit ich dich verherrliche.
Seltsame Worte im Angesichts des Todes! Aber sie lassen uns etwas ahnen von dem, was Jesus im Innersten wirklich bewegt hat, worum es ihm wirklich ging. Ob seine Freunde es verstanden haben? Ob wir es wirklich verstehen? Jesus hat ein einziges großes Anliegen: dass Gott verherrlicht wird! In der Sprache der Bibel heißt kommt das Wort oft vor: “Ehre sei Gott in der Höhe”. “Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes”. Was heißt das: Gott verherrlichen?
Die Menschen des Mittelalters wussten es: Sie bauten den Stephansdom “zur Ehre Gottes”. Mozart, Haydn, Schubert komponierten vieles, um Gottes Ruhm zu verkünden. Wer kennt nicht den Gedanken an Gottes Größe und Herrlichkeit, wenn ein prächtiger Tag in den Bergen erlebt wird?
Jesus hat das als erstes und größtes Anliegen: dass der Gott, den er Vater nennt, verherrlicht wird. Er will, dass Gottes Größe erkannt und anerkannt wird. Dafür setzt er sein Leben ein, bis zum Letzten. Gegenfrage: Braucht denn Gott unser Lob? Sicher nicht. Aber sicher ist auch: Wo Gott groß ist, ist der Mensch nicht klein. Wo Gott geehrt wird, ist der Mensch geachtet.
Deshalb heißt es ja: Ehre sei Gott in der Höhe - und Friede auf Erden den Menschen!
Vater, verherrliche deinen Sohn!
In jener Zeiterhob Jesus seine Augen zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht.Denn du hast ihm Macht über alle Menschen gegeben, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt.
Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast.
Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast.
Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war.
Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie gehörten dir, und du hast sie mir gegeben, und sie haben an deinem Wort festgehalten.
Sie haben jetzt erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist.
Denn die Worte, die du mir gegeben hast, gab ich ihnen, und sie haben sie angenommen. Sie haben wirklich erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie sind zu dem Glauben gekommen, dass du mich gesandt hast.
Für sie bitte ich; nicht für die Welt bitte ich, sondern für alle, die du mir gegeben hast; denn sie gehören dir.
Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein; in ihnen bin ich verherrlicht.
Ich bin nicht mehr in der Welt, aber sie sind in der Welt, und ich gehe zu dir.