Mein Sohn, geh und arbeite heute im Weinberg!
Mein Sohn, geh und arbeite heute im Weinberg!
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 26. Sonntag im Jahreskreis, 29.9.2002,
(Mt 21,28-32)
Es steht auf Messers Schneide. In Jerusalem spitzt sich die Lage zu. Wird Jesus angenommen oder abgelehnt? Die Menschenmenge der Osterpilger in Jerusalem bereitet ihm einen begeisterten Empfang; sie rufen "Hosanna", sehen in ihm den Sohn Davids, den Messias, der im Namen des Herrn kommen und Israel befreien soll.
Anders die Autoritäten des Tempels und des Volkes. Sie argwöhnen seit langem, dass er ein Lästerer und Aufwiegler ist, der alles in Gefahr und Unruhe bringt. Die Entscheidung wird unausweichlich, für oder gegen ihn. Ist er der Messias oder nicht? Hat Gott ihn gesandt oder nicht?
Jesus kann ihnen die Entscheidung nicht abnehmen. Er nimmt sie auch uns nicht ab. Aber er zeigt ihnen, dass sie sich entscheiden müssen, für oder gegen ihn, für oder gegen Gottes Einladung. Und wie so oft, wenn Jesus zur Entscheidung ruft, kleidet er seine Aufforderung in die Form von Gleichnissen. Er erzählt gleich drei, die wir heute und an den folgenden zwei Sonntagen hören.
Das heutige Gleichnis ist denkbar einfach. Jedem ist die Antwort klar, die Jesus auf seine Frage erwartet: Hat der erste oder der zweite Sohn den Willen des Vaters erfüllt? Nicht aufs Ja-Sagen kommt es an, sondern aufs Tun. Der mürrische zweite Sohn, der dem Vater ein unfreundliches Nein sagt, dem es dann aber leid tut, sich so verhalten zu haben, und der dann doch die Arbeit tut, hat eindeutig besser dem Willen des Vaters entsprochen als der Ja-Sager.
Als Johannes der Täufer zur Umkehr und Buße aufrief, haben die religiösen Obrigkeiten zwar fromm zugehört, aber ihr Leben nicht geändert. Aber die Leute, die scharenweise hingingen, haben sich seine Worte zu Herzen genommen. Lukas berichtet, wie die Steuereintreiber (die Zöllner) sich bekehrten, auch die Soldaten. Und Jesus, der es ja wusste, weil er selber zu Johannes gegangen war, um sich von ihm taufen zu lassen, fügt hinzu: Selbst die Prostituierten haben sich bekehrt. Und so sagt er, was wie eine Provokation wirken musste: Die Dirnen werden eher in den Himmel, ins Reich Gottes kommen als ihr!
Darf man sich dann wundern, dass die Obrigkeit auf ihn wütend war und seinen Tod beschloss? Auf welcher Seite wäre ich damals gestanden? Hätte auch ich ihn abgelehnt? Hätte ich mitgeschrien: Er lästert Gott, ans Kreuz mit ihm? Die Frage ist keine rein theoretische, denn ich muss mich auch heute entscheiden, jeden Tag neu, ob ich ein Ja-Sager aber Nein-Tuer bin, oder ein Nein-Sager der dann doch zu Gottes Willen Ja sagt. Und Jesus provoziert auch heute. Da lebt einer ein liederliches Leben, bereitet vielen Kummer, schert sich nicht um Gott und seine Gebote. Doch dann, vielleicht erst ganz am Schluss seiner Erdentage, packt ihn die Reue, er sieht, was er mit seinem Leben angerichtet hat. Er beichtet sich gründlich aus und stirbt mit Gott versöhnt (ich erfinde diese Geschichte nicht!) - und der soll dann allen voran ins Paradies einziehen? Dem, der rechts neben Jesus gekreuzigt war, hat Jesus genau das versprochen. Lohnt sich dann die ganze Mühe um ein anständiges Leben? Ja, voll und ganz, wenn ich dabei nie vergesse, dass ich immer auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen bin. Und das begreifen die Dirnen oft besser.
In jener Zeit sprach Jesus zu den Hohenpriestern und den Ältesten des Volkes:
Was meint ihr? Ein Mann hatte zwei Söhne. Er ging zum ersten und sagte: Mein Sohn, geh und arbeite heute im Weinberg! Er antwortete: Ja, Herr!, ging aber nicht.
Da wandte er sich an den zweiten Sohn und sagte zu ihm dasselbe. Dieser antwortete: Ich will nicht. Später aber reute es ihn, und er ging doch.
Wer von den beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt? Sie antworteten: Der zweite. Da sagte Jesus zu ihnen: Amen, das sage ich euch: Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr.
Denn Johannes ist gekommen, um euch den Weg der Gerechtigkeit zu zeigen, und ihr habt ihm nicht geglaubt; aber die Zöllner und die Dirnen haben ihm geglaubt. Ihr habt es gesehen, und doch habt ihr nicht bereut und ihm nicht geglaubt.