Wer bin ich vor Gott?
Wer bin ich vor Gott?
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum Festtagsevangelium von Allerheiligen 2002
(Mt 5,1-12a)
Das “Programm” Jesu ist in den acht Punkten zusammengefasst, die wir die “Seligpreisungen” nennen. Ob mit einem solchen Programm irgend eine Wahl zu gewinnen wäre?
Und doch will Jesus Menschen für dieses Programm gewinnen. Deshalb tut er, was alle tun, die andere von ihren Ideen überzeugen wollen: Er verspricht Glück, großes, wunderbares, für immer anhaltendes Glück. Er verheißt denen, die sein Programm wählen, ewige Glückseligkeit.
Ist das konkurrenzfähig? Wer heute Stimmen gewinnen will, kann nicht mit einem großen Lohn im Himmel als Versprechen winken. Glück will heute gleich gewonnen werden, sofort, ohne langes Warten und mit möglichst wenig Mühe. Aber genau das, ein Glück, das schon jetzt und heute gewonnen werden kann, verspricht Jesus. Nur ist es nicht mühelos und ohne Leid zu haben. Im Gegenteil. Jesus zeigt einen Weg, ein tiefes “seliges” Glück gerade mitten in den Mühen und Leiden dieses Lebens auf dieser kummervollen Welt zu entdecken.
Der erste Schritt auf diesem Weg zum Glück heißt: sich arm wissen vor Gott. Wer das weiß, dem gehört jetzt schon “das Himmelreich”. Sich arm wissen vor Gott ist nichts anderes als die Einsicht in unsere wirkliche Lage. Was habe ich denn vor Gott schon vorzuweisen? Vor den Menschen versuche ich, wichtig und groß zu sein. Wer bin ich vor Gott? Ein Armer, ganz und gar angewiesen auf Ihn, von dem ich alles habe, Leib und Leben, mein Können und Tun, und vor dem unverhüllt mein ganzes Versagen offen liegt.
Wenn ich das erkenne und in dieser Haltung lebe, dann kommt der Himmel in mein noch so armseliges Leben. Denn arm sein vor Gott ist ein größeres Glück als alles Wichtigsein vor den Menschen.
Was dieses selige Armsein vor Gott im Einzelnen heißt, sagt Jesus in den sieben weiteren “Seligpreisungen”. Den Trauernden wird Trost verheißen, nicht denen, die schon alles haben und glauben, keines Trostes zu bedürfen. Die Sanftmütigen werden das Land erben, nicht die, die mit Gewalt an sich reißen wollen, was ihnen nicht gehört. Die nach Gerechtigkeit Hungernden und Dürstenden wird Gott sättigen, nicht die, die nach Rache und Vergeltung lechzen und Unrecht mit neuem Unrecht beantworten. Barmherzigkeit macht selig, denn Gott wird sie mit seiner Barmherzigkeit lohnen. Hartherzigkeit aber kennt dieses Glück nicht. Ein reines Herz wird Gott schonen, verheißt Jesus, das heißt, ein Herz ohne Arglist und Verquertheit, in das Gott sein Licht ungebrochen scheinen lassen kann. Die Frieden stiften, die lieber Unrecht erdulden als tun, die nicht mit gleicher Münze zurückzahlen, wenn sie verleumdet und verfolgt werden, diesen allen verheißt Jesus jetzt schon und dann im Himmel volles Glück.
Ist so ein Programm lebbar? Allerheiligen tritt den Beweis an, viel tausendfach, dass es nicht nur für Einzelne lebbar ist, sondern dass es auch das Programm des glücklichen Zusammenlebens ist. An den Heiligen kann man es ablesen. Und sehen wir uns doch die Dramen in unserer Welt an: Mit welchen Programmen soll denn ein glückliches Leben gelingen, wenn nicht mit diesem? Wie soll es aussehen, wenn nicht so?
In jener Zeit,als Jesus die vielen Menschen sah, die ihm folgten, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm.Dann begann er zu reden und lehrte sie.
Er sagte: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet.
Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.