... und die Finsternis hat es nicht erfasst.
... und die Finsternis hat es nicht erfasst.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 2. Sonntag nach Weihnachten,
5. Jänner 2003(Joh 1, 1-5. 9-14)
Das erste Wort der Bibel lautet: “Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde”. Und dann folgt in feierlicher, dichterischer Sprache das Werk der Erschaffung aller Dinge, Licht und Dunkel, die Gestirne, die Erde, Land und Meer, Pflanzen, Tiere und schließlich der Mensch: Gottes Schöpfung.
Das Evangelium des Johannes beginnt gleichlautend: “Im Anfang ...”. Aber es folgt nicht die Schöpfung, sondern was noch vor ihr war: “Im Anfang war das Wort”. Und dann folgt, wieder in feierlicher, dichterischer Sprache, wer “das Wort” ist und was es tut und wirkt.
Warum aber diese Anfangsworte des Johannesevangeliums heute, an diesem 2. Sonntag der Weihnachtszeit, zu hören sind, wird vom letzten Vers her deutlich: “Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.” Die rätselhaften Worte sprechen vom Kind in der Krippe. Sie sagen, wer eigentlich dieses Neugeborene ist: Ein Menschenkind, aber nicht nur das.
Sein Ursprung reicht weiter und tiefer als unserer. Wir sind Menschen von Menschen gezeugt, Jesus aber ist “Gott von Gott”, wie es im Glaubensbekenntnis heißt. Er ist Gottes Sohn, der Mensch geworden ist, “Fleisch” angenommen hat, unser sterbliches Menschsein, der einer von uns geworden ist.
Gott wurde Mensch: So sagen wir vom Christkind in der Krippe. Aber kann denn Gott Mensch werden? Davon spricht das Evangelium heute. Gott ist nie alleine. Er ist weder wortlos noch geistlos: immer sind Sein Wort und Sein Geist bei Ihm. Gott ist Gemeinschaft: Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Und weil Er will, dass viele in Seiner Gemeinschaft dabei sind, hat Er alles “durch das Wort” geschaffen. Alles, wirklich alles! Denn nichts, was es im weiten Universum gibt, vom Größten bis zum Winzigsten, ist “von selber” geworden, erst recht nicht das Leben. Alles Leben kommt von Gott, erst recht das menschliche, mit Verstand und Willen begabte Leben. Und alles Licht im menschlichen Leben kommt aus dieser einen göttlichen Quelle: jeder gute Gedanke, jede Einsicht und Erkenntnis, aller gute Wille kommen “vom Wort” Gottes, von Gottes Gegenwart in jedem Menschenleben. Jeder Lichtstrahl in meinem Leben kann mich zur göttlichen Lichtquelle führen, wenn ich ihm folge.
Leider ziehen wir immer wieder die Finsternis dem Licht vor und folgen Gottes Lichtspur nicht.
Darum hat Gott Sein Licht direkt mitten unter uns gebracht, ist Sein Wort Fleisch geworden, ist Gott Mensch geworden. Im Christkind, in Jesus Christus, spricht Gott Sein Wort in menschlicher Sprache, jedem Suchenden verstehbar, jedem Findenden zur Freude, damit niemand sich verirren muss, damit wir alle als Kinder Gottes heimfinden.
Im Anfang war das Wort, / und das Wort war bei Gott, / und das Wort war Gott.
Im Anfang war es bei Gott.
Alles ist durch das Wort geworden / und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.
In ihm war das Leben / und das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht leuchtet in der Finsternis / und die Finsternis hat es nicht erfasst.
Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, / kam in die Welt.
Er war in der Welt / und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht.
Er kam in sein Eigentum, / aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.
Allen aber, die ihn aufnahmen, / gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, / allen, die an seinen Namen glauben,
die nicht aus dem Blut, / nicht aus dem Willen des Fleisches, / nicht aus dem Willen des Mannes, / sondern aus Gott geboren sind.
Und das Wort ist Fleisch geworden / und hat unter uns gewohnt / und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, / die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, / voll Gnade und Wahrheit.