Das Wunder, dass sich unsere Kräfte vermehren, wenn wir sie mit Gottes Hilfe in den Dienst an der Not der anderen stellen.
Das Wunder, dass sich unsere Kräfte vermehren, wenn wir sie mit Gottes Hilfe in den Dienst an der Not der anderen stellen.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 17. Sonntag im Jahreskreis, 27.7.2003
(Joh 6,1-15)
Wenn vier Personen über das selbe Ereignis berichten, werden nicht alle genau das selbe sagen, denn jeder wird bestimmte Einzelheiten besonders hervorheben, wird manches weglassen, was den Anderen wichtig schien. Und doch ist klar: es handelt sich um ein und dasselbe Geschehen.
Gerade die Unterschiede in den Berichten machen die vier Zeugen noch glaubwürdiger, wenn sich zeigt, dass sie im Wesentlichen übereinstimmen. Alle vier Evangelisten sprechen von einem besonders eindrucksvollen Ereignis im Leben Jesu. Er habe einmal (nach Matthäus und Markus sogar zweimal) eine sehr große Menschenmenge, die kein (oder nicht genügend) Essen mit hatte, mit nur ganz wenigen Broten reichlich satt gemacht, sodass am Schluss noch mehrere Körbe voll Brot übrig blieben.
Ich sehe selber keinen ernsthaften Grund, an der Glaubwürdigkeit dieser vier Zeugen zu zweifeln. Ich glaube auch daran, dass Christus die Macht hatte (und noch immer hat), ein solches Zeichen zu wirken, das als "Wunder der Brotvermehrung" benannt wird. Es gibt zudem in der Geschichte der Kirche nicht wenige ähnliche Wunder, die gut bezeugt sind. Ich denke etwa an den Mehltrog im Waisenhaus des heiligen Pfarrers von Ars (1786-1859). Dieser Mehltrog wurde lange Zeit einfach nicht leer, als es im Waisenhaus am Nötigsten fehlte und die Kinder kaum zu essen hatten.
Die Frage ist: Warum erzählen alle vier Evangelien diese Geschichte? Sicher, weil sie sehr auffallend war und auf die Menschen einen großen Eindruck machte. Warum hat Jesus dieses Wunder gewirkt? Johannes sagt, Jesus habe gewusst, "was er tun wollte". Was hat ihn dazu bewogen? Was ist sozusagen die Botschaft dieses außergewöhnlichen Ereignisses?
Übereinstimmend bezeugen die vier Evangelien: Jesus bewog zuerst einmal die ganz einfache Sorge: wie bekommen diese vielen Menschen zu essen? Bei Markus steht das ausdrücklich. Da sagt Jesus: "Ich habe Mitleid mit diesen Menschen; sie sind schon drei Tage bei mir und haben nichts mehr zu essen. Wenn ich sie hungrig nach Hause schicke, werden sie unterwegs zusammen brechen; denn einige von ihnen sind von weither gekommen" (Mk 8,2-3). Jesus schaut nicht weg, wenn er Menschen leiden sieht. Nicht immer hat er alle Not abgewendet, aber nie hat er sich von den Notleidenden abgewandt.
Und er wollte und will, dass das bei seinen Jüngern nicht anders ist. Deshalb stellt er sie auf die Probe. Er fordert sie zum Helfen auf, und als sie ihm sagen: du verlangst Unmögliches von uns, da zeigt er ihnen: Wenn ihr auf mich vertraut, dann werdet ihr Unglaubliches leisten, weit über eure eigenen Kräfte hinaus. Viele Menschen haben seither diese Erfahrung gemacht: Das Wunder, dass sich unsere Kräfte vermehren, wenn wir sie mit Gottes Hilfe in den Dienst an der Not der anderen stellen.
Was aber Jesus selber noch tiefer mit der Brotvermehrung zeigen wollte, das werden wir an den vier kommenden Sonntagen des August hören.
In jener Zeit ging Jesus an das andere Ufer des Sees von Galiläa, der auch See von Tibèrias heißt. Eine große Menschenmenge folgte ihm, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat.
Jesus stieg auf den Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern nieder. Das Pascha, das Fest der Juden, war nahe. Als Jesus aufblickte und sah, dass so viele Menschen zu ihm kamen, fragte er Philippus: Wo sollen wir Brot kaufen, damit diese Leute zu essen haben? Das sagte er aber nur, um ihn auf die Probe zu stellen; denn er selbst wusste, was er tun wollte.
Philippus antwortete ihm: Brot für zweihundert Denare reicht nicht aus, wenn jeder von ihnen auch nur ein kleines Stück bekommen soll. Einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus, sagte zu ihm: Hier ist ein kleiner Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; doch was ist das für so viele!
Jesus sagte: Lasst die Leute sich setzen! Es gab dort nämlich viel Gras. Da setzten sie sich; es waren etwa fünftausend Männer. Dann nahm Jesus die Brote, sprach das Dankgebet und teilte an die Leute aus, so viel sie wollten; ebenso machte er es mit den Fischen.
Als die Menge satt war, sagte er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrig gebliebenen Brotstücke, damit nichts verdirbt. Sie sammelten und füllten zwölf Körbe mit den Stücken, die von den fünf Gerstenbroten nach dem Essen übrig waren. Als die Menschen das Zeichen sahen, das er getan hatte, sagten sie: Das ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll.
Da erkannte Jesus, dass sie kommen würden, um ihn in ihre Gewalt zu bringen und zum König zu machen. Daher zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein.