Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.
Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum Christkönigssonntag 23. November 2003,
(Joh 18,33b-37)
Ja, ich bin ein König! Der das sagt, steht gefesselt und machtlos vor dem Statthalter des Kaisers. Was für ein Gegensatz! Was kann dieser ohnmächtige König in der Weltgeschichte bewirken? Die Macht liegt doch ganz anderswo, in den politischen und wirtschaftlichen Schaltstellen, wo die Großen dieser Welt das Sagen haben. Dieser da, der als Gefangener vor Pilatus steht, hat keine Armee hinter sich, keine Großfinanz, keine politische Macht. Nach menschlichem Maß müsste er längst vergessen sein, untergegangen im breiten Sturm der Geschichte.
Er ist immer noch da. Immer noch steht er vor den Mächtigen dieser Welt. Und jeder von uns will ein wenig einer der Mächtigen sein, und wäre es nur daheim oder am Arbeitsplatz, vor den Kollegen und gegenüber den Anderen. Wie vor Pilatus, dem kleinen Provinzgouverneur, der gerne den großen Mann herausstreicht, so steht Jesus vor mir, und der Dialog, den er mit Pilatus führt, wird zum Spiegel, den Jesus mir vorhält: Wie schaut es mit dir aus? Lebst du im Schein oder in der Wahrheit? Wage ich es, in diesen Spiegel hineinzuschauen?
Pilatus fragt Jesus: "Wer bist du? Bist du der König der Juden?" Die Gegenfrage Jesu hält ihm den Spiegel hin: "Sagst du das von dir aus, oder haben es dir andere über mich gesagt?" Sagst du das, weil das die "öffentliche Meinung " ist? Oder sagst du das, weil du es wirklich selber wissen willst? Bist du unter Druck, weil "die anderen" dir das einreden, oder kommt diese Frage aus deinem Herzen?
Blick in den Spiegel: Wie viele meiner Urteile sind Vorurteile? Wie viel von dem, was ich denke und sage, habe ich einfach "von anderen" übernommen, ohne mich zu fragen, ob ich wirklich selber so denke?
Es tut mir weh, immer wieder zu erleben, wie gedankenlos und unüberprüft auch Vorurteile gegenüber der Kirche weiter getragen werden. Wir sollten uns bemühen, uns möglichst wenig von Vorurteilen leiten zu lassen. Wir sollten uns immer wieder fragen: Ist das meine persönliche Überzeugung, die ich mir selber aus Kenntnis der Dinge gebildet habe, oder rede ich nach, "was andere gesagt haben"?
Pilatus ist von der Frage Jesu unangenehm berührt. Er ist nicht bereit, in den Spiegel zu schauen, den Jesus ihm hinhält: "Bin ich denn ein Jude? Was hast du getan?" Jesu Antwort liegt auf einer ganz anderen Ebene: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt." Wäre meine Königsherrschaft eine weltliche, dann würden meine Leute für mich kämpfen.
Wieder ein Spiegel: Es gibt nicht nur diese Welt, es gibt auch die andere, jenseitige Welt. Die Mächtigen dieser Welt herrschen nicht über die andere Welt. Ihre Macht hat Grenzen. Alle irdische Macht ist begrenzt. Wir haben im letzten Jahrhundert erlebt, wohin es führt, wenn Diktatoren und totalitäre Staaten versuchen, auch über die Seelen der Menschen zu herrschen. Wer Christus als seinen König annimmt, wird nicht unterjocht. Christus wird ihn befreien. Der gefesselte König, der vor Pilatus steht, befreit von allen Fesseln der Selbsttäuschung und Lüge. Nur eines ist dazu nötig: ehrlich um die Wahrhaftigkeit ringen. Schau in diesen Spiegel!
In jener Zeit fragte Pilatus Jesus: Bist du der König der Juden?
Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus, oder haben es dir andere über mich gesagt?
Pilatus entgegnete: Bin ich denn ein Jude? Dein eigenes Volk und die Hohenpriester haben dich an mich ausgeliefert. Was hast du getan?
Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn es von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Aber mein Königtum ist nicht von hier.
Pilatus sagte zu ihm: Also bist du doch ein König?
Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.