Bethlehem ist überall.
Bethlehem ist überall.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum Hochfest der Geburt des Herrn,
Christmette, 24./25.12.2003,
(Lk 2,1-14)
"Bethlehem ist eine traurige Stadt", sagte vor einem Jahr der katholische Bürgermeister Hanna Nasser. Das hat sich seither nicht wesentlich gebessert. Die Stadt der Geburt Jesu ist nach wie vor ohnmächtig in den blutigen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern verwickelt.
Ohnmächtig war auch der, dessen Geburt wir zu Weihnachten feiern. Mächtig war ein anderer: der Kaiser Augustus, der Herrscher über das größte Reich der damaligen Welt. Das römische Reich brauchte wie alle Reiche dieser Welt viel Geld, vor allem für seinen gewaltigen Militärapparat. Und dazu bedurfte es riesiger Steuermittel. Und dazu musste der Kaiser wissen, wo er die Steuern holen konnte. Daher hieß er im ganzen weiten Römerreich Steuerlisten erstellen, auch in Israel, das unter römischer Herrschaft stand.
Manche im jüdischen Volk lehnten die Steuern für den Kaiser ab. Sie schlossen sich verschiedenen Befreiungsbewegungen an, die gegenüber den Besatzern passiven oder aktiven Widerstand leisteten, ja auch vor Terroraktionen nicht zurückschreckten. Diese Eiferer, Zeloten genannt, versuchten immer wieder, das Joch der Besatzer abzuschütteln. Die Rache der Römer war grausam und viele der Zeloten endeten am Kreuzespfahl.
Joseph gehörte nicht zu ihnen, er gehorchte dem Befehl des Kaisers und tat ohne viele Worte was zu tun war. Obwohl seine Frau hochschwanger war, unternimmt er mit ihr die mühsame Reise, zu Fuß oder mit dem Esel, bis nach Bethlehem, der Stadt, aus der König David stammte, "denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids".
Joseph, arm, aber aus königlicher Familie, muss sich der Herrschaft des Kaisers beugen. Aber der Kaiser steht seinerseits unter der Herrschaft Gottes. Gott allein ist allmächtig, der Kaiser hat nur eine geliehene Macht. Sein Leben ist wie das jedes Menschen in Gottes Hand.
So hat es Gott selber gefügt, dass Joseph wegen des Befehls des Kaisers in die Davidstadt Bethlehem reisen muss. Das Kind, das Maria erwartet, sollte nach Gottes Plan in der Stadt geboren werden, über die die Propheten sagen, von dort werde einmal der Messias kommen.
Der mächtige Kaiser - im Dienst der Pläne Gottes! Das lehrt uns der Evangelist Lukas, der ein besonderes Gespür für die Fügungen Gottes hat. Aber welcher Kontrast! Die beiden Reisenden finden keine Aufnahme, für die hochschwangere junge Frau ist "kein Platz". Joseph findet in seiner Heimatstadt Bethlehem kein Dach, obwohl er ein Davidsspross ist.
Krippe und Windeln bergen das Kind, das geboren wird. Äußerste Armut und Ohnmacht: So kommt Er in die Welt, der eigentlich der Herr der Welt und der Geschichte ist.
Warum hat Gott diesen Weg gewählt? Warum nicht ein Kommen das alle sehen, von dem alle hören? Ich denke, vor allem aus zwei Gründen: Zuerst um unsere Herzen anzusprechen. Ein kleines Kind bewegt fast jeden Menschen. Gott will nicht über uns herrschen, sonder die Liebe unseres Herzens. Deshalb streckt er uns Kinderarme entgegen. Zweitens aber will er, dass wir einander nicht mit Macht- und Drohgebärden begegnen, sondern einander dienen. Wenn Gott in Christus sich so klein macht, dann sollten wir uns nicht selber groß machen.
Bethlehem ist überall. Trauer, Gewalt, Unrecht herrschen weltweit vor. Wo ist Hoffnung? Gibt es "eine große Freude"? Künden Engel Frieden auf Erden? Wer sich zum Kind in der Krippe hinunterbeugt, wird Frieden und Freude finden.
In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen. Dies geschah zum ersten Mal; damals war Quirinius Statthalter von Syrien.
Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete.
Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.
In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat der Engel des Herrn zu ihnen, und der Glanz des Herrn umstrahlte sie.
Sie fürchteten sich sehr, der Engel aber sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.
Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.