Wer sich schwer tut, so etwas wie Engel und ihr Erscheinen anzunehmen, möge bedenken, wie oft die Bibel von solchen Ereignissen spricht.
Wer sich schwer tut, so etwas wie Engel und ihr Erscheinen anzunehmen, möge bedenken, wie oft die Bibel von solchen Ereignissen spricht.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum Hochfest der Geburt des Herrn,
Christtag, 25.12.2003,
(Lk 2,15-20)
Wer am heutigen Christtag frühmorgens zur Messe geht, wird das Evangelium von den Hirten hören. Es wird nur während dieser frühen Messe gelesen, und da nach der langen Nacht die meisten doch gerne ausschlafen, bekommen es die wenigsten zu hören. Und doch gehört es zum Weihnachtsevangelium. Die Hirten sind ja die ersten gewesen, die Weihnachten gefeiert haben. Sie waren die ersten Zeugen dessen, was in dieser Nacht im Stall von Bethlehem geschehen war. In all den zahllosen Krippen überall auf der Welt sind sie dargestellt, wie sie sich um das neugeborene Kind scharen. Sie will ich heute näher ansehen.
Jeder der ins Heilige Land pilgert, kennt das so genannte Hirtenfeld bei Bethlehem. Seit der neuen Intifada der Palästinenser und den harten Gegenmaßnahmen der Israelis sind dort viel Zerstörung, Leid und Not eingekehrt. Die Pilger bleiben aus. Und viele Christen aus Bethlehem und Umgebung wandern aus, weil sie am Geburtsort Jesu keine Zukunft für sich und ihre Kinder sehen.
Die Hirten hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Damals drohte nicht Waffengewalt, sondern Räuber und wilde Tiere. Deshalb sind die Hirten in der Bibel ein beliebtes Bild für Gott selber, der seine Herde, das heißt uns Menschen, nicht im Stich lässt, wenn Gefahr droht.
"Hirten" nennt die Bibel aber auch die politischen, vor allem aber die religiösen Verantwortlichen des Volkes. Jesus selber zeichnet das Bild vom "guten Hirten", der nicht nur für sich lebt, sondern sein Leben für seine Schafe einsetzt.
Mitten in ihre Nachtwache hinein bricht die Erscheinung eines Engels, der ihnen die Geburt des Messias, des ersehnten Erlösers ankündigt. Wer sich schwer tut, so etwas wie Engel und ihr Erscheinen anzunehmen, möge bedenken, wie oft die Bibel von solchen Ereignissen spricht. Es gibt sie bis in unsere Tage. Ich denke etwa an die drei Hirtenkinder, denen in Fatima 1917 zuerst ein Engel und dann Maria erschien. Eine der drei, Sr. Luzia, lebt immer noch, weit über neunzig Jahre alt. Die Kirche hat die Echtheit dieser Erscheinungen anerkannt.
So machen sich die Hirten also auf den Weg und suchen das Kind in der Krippe. Sie eilen, nicht gehetzt, sondern in freudiger Erwartung. Was ihnen von den Engeln gesagt wurde, war Grund genug zu großer Freude: "Heute ist euch in der Stadt Davids ein Retter geboren, Christus der Herr." Ob sie damals schon die ganze Tragweite dessen erfasst haben, was da geschehen war?
Aber haben wir es denn schon erkannt? Es braucht Zeit, Nachdenken, Stille, um tiefer zu verstehen, was es heißt, dass "der Herr", das heißt Gott selber, ein kleines, armes Menschenkind geworden ist. Und sagen wir nicht: Ja wenn wir Engel sehen könnten und sie ihr "Ehre sei Gott in der Höhe" singen hörten, dann wäre es leichter, das alles zu glauben.
Erst heuer ist mir etwas an der Weihnachtsgeschichte aufgefallen: Die Hirten auf dem Feld haben großartige Engelserscheinungen. Nicht so Maria und Josef. Im Stall in Bethlehem war kein himmlisches Licht, kein Engelsgesang, nur die einfache Armut der Geburt. Maria und Josef haben aufmerksam zugehört, was die Hirten berichteten. Und Maria hat alles im Herzen bewahrt und darüber nachgedacht.
Ich denke, das kann auch uns helfen. Wir haben in unserem Alltag kaum außerordentliche Himmelserscheinungen. Die Botschaft der Hirten können wir wie Maria und Josef nur hören, darüber nachdenken, sie im Herzen erwägen. Und uns darüber freuen.
Als die Engel sie verlassen hatten und in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: Kommt, wir gehen nach Betlehem, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr verkünden ließ.
So eilten sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag.
Als sie es sahen, erzählten sie, was ihnen über dieses Kind gesagt worden war. Und alle, die es hörten, staunten über die Worte der Hirten.
Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach.
Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für das, was sie gehört und gesehen hatten; denn alles war so gewesen, wie es ihnen gesagt worden war.