Nichts als das ganz gewöhnliche Alltagsleben.
Nichts als das ganz gewöhnliche Alltagsleben.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum Fest der heiligen Familie 28.12.2003,
(Lk 2,41-52)
Vater, Mutter, Kind - eine Familie! Eine kleine Familie. Sie hat das Glück, geeint zu sein. Sie ist arm, obwohl er aus dem alten königlichen Geschlecht Davids stammt. Sie leben in Nazareth. Er ist Handwerker, Zimmermann von Beruf. Einige Verwandte sind namentlich bekannt. Sonst ist nichts bekannt über sie.
Doch, eines wird gesagt: Josef, der Gatte, sei "gerecht" gewesen. Ein gerader, aufrechter Mensch. Und noch etwas: Es gab da ein Geheimnis zwischen ihm und ihr, zwischen Josef und Maria. Sie war schwanger geworden als sie noch verlobt waren, aber nicht von ihm. Er hatte keinen Skandal machen wollen. Er dachte einfach daran, sich in aller Stille von ihr zu trennen ohne sie bloß zu stellen. Bis ihm anvertraut wurde: Nicht ein anderer Mann ist der Vater dieses Kindes, sondern Gott hat es geschenkt. Er glaubt und vertraut ihr, und traut Gott zu, was menschlich nicht begreiflich ist.
In Bethlehem kam es dann zur Welt, dieses von Gott geschenkte Kind. Besondere Zeichen hatte es gegeben, damals in der Nacht seiner Geburt. Hirten, die von Engeln berichteten, kamen das Kind anzusehen. Ein alter Mann im Tempel in Jerusalem sprach rätselhafte Voraussagen über dieses Kind, als die Eltern es nach jüdischem Brauch vierzig Tage nach seiner Geburt Gott weihten. Dramatisches geschah danach. Weise kamen eigens aus dem Osten, von Sternzeichen geleitet, dieses Kind als König zu verehren. Danach die überstürzte Flucht nach Ägypten, schließlich die Heimkehr nach Nazareth. Was wird wohl aus diesem Kind werden, dem so großes vorhergesagt wurde? Wie oft hat diese Frage wohl die Eltern bewegt?
Und nun das Überraschende. Es geschieht gar nichts. Nichts als das ganz gewöhnliche Alltagsleben einer armen Handwerkerfamilie: Tag für Tag die Arbeit, die Sorge um Aufträge, die Mühen, das Nötige zu verdienen. Wir hören nichts von Wundern, außerordentlichen Ereignissen. Ein unscheinbares, verborgenes Leben in einem kleinen, unbedeutenden Dorf. Nur eines gab diesem Leben einen besonderen Glanz: Es herrschte die Liebe zwischen den dreien und Gott hatte den ersten Platz. Die täglichen jüdischen Gebete, der Besuch der Synagoge am Sabbat und jedes Jahr zum Osterfest die übliche Wallfahrt nach Jerusalem.
Und so ging das dahin, dreißig lange Jahre. Mich bewegt diese Frage: Wie sah der Alltag in Nazareth aus? Worüber haben sie geredet, Josef, Maria und Jesus? Die Arbeit, die Sorgen der Verwandten, die politische Lage? Über den Glauben? Über Gottes Wege und Pläne? All das wissen wir nicht, die Bibel schweigt einfach darüber. Und dieses Schweigen sagt uns, dass Gott im Alltag zu finden ist, in den täglichen kleinen Mühen, im täglichen Bemühen um Güte, Geduld und Gerechtigkeit. Wenn Jesus Gott ist, der als Mensch unter uns gelebt hat, dann kann ich ihn im Alltag finden, mitten in meinem gewöhnlichen Leben.
Einmal in diesen langen Jahren leuchtete etwas vom Geheimnis Jesu auf. Als er ohne die Eltern zu informieren in Jerusalem zurückblieb. Angst und Schmerz der Eltern können wir nachfühlen, und auch den vorwurfsvollen Ton, als sie ihn endlich nach drei sorgenerfüllten Tagen finden. Seine Antwort muss weh getan haben: Warum habt ihr mich gesucht? Ich habe mich doch um die Dinge meines Vaters zu kümmern.
Schmerzliche Einsicht: Dieses Kind gehört uns nicht. Er ist von Gott, Er ist sein Vater. Maria diskutiert nicht, sie bewahrt all das in ihrem Herzen, sie nimmt es in ihr Leben in Nazareth hinein, für die vielen kommenden Jahre. Sie lebt wirklich mit Gott im Alltag.
Die Eltern Jesu gingen jedes Jahr zum Paschafest nach Jerusalem. Als er zwölf Jahre alt geworden war, zogen sie wieder hinauf, wie es dem Festbrauch entsprach.
Nachdem die Festtage zu Ende waren, machten sie sich auf den Heimweg.
Der junge Jesus aber blieb in Jerusalem, ohne dass seine Eltern es merkten. Sie meinten, er sei irgendwo in der Pilgergruppe, und reisten eine Tagesstrecke weit; dann suchten sie ihn bei den Verwandten und Bekannten.
Als sie ihn nicht fanden, kehrten sie nach Jerusalem zurück und suchten ihn dort. Nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel; er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte Fragen. Alle, die ihn hörten, waren erstaunt über sein Verständnis und über seine Antworten.
Als seine Eltern ihn sahen, waren sie sehr betroffen und seine Mutter sagte zu ihm: Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht. Da sagte er zu ihnen:
Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?
Doch sie verstanden nicht, was er damit sagen wollte. Dann kehrte er mit ihnen nach Nazaret zurück und war ihnen gehorsam.
Seine Mutter bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen. Jesus aber wuchs heran und seine Weisheit nahm zu und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen.