Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 5. Sonntag im Jahreskreis, 8. Februar 2004,
(Lk 5,1-11)
Was versteht ein Zimmermann vom Fischen? Vielleicht haben sie sich diese Frage gestellt, so stelle ich es mir wenigstens vor. Simon, den Jesus dann Petrus ("Felsenmann") benannt hat, und sein Bruder Andreas, sowie die Brüder Jakob und Johannes, Söhne des Zebedäus: Sie waren Fischer von Beruf. Sie kannten ihren Beruf, den sie von ihren Vätern erlernt hatten. Sie wussten, wann und wo sie fischen mussten, um Erfolg zu haben. Und sie kannten die Mühen und Gefahren ihres Berufs. So etwa die plötzlich hereinbrechenden Stürme, die schon manches Schiff zum Kentern gebracht hatten. Ein solches wurde vor einigen Jahren im schlammigen Grund des Sees Genesaret gefunden. Es stammt etwa aus der Zeit Jesu und ist heute das Schmuckstück eines Museums am Seeufer.
Jesus kannte das Leben der Fischer kaum. Er war im Landesinneren, in Nazareth aufgewachsen. Sein Beruf war ganz anderer Art. Was wusste ein Zimmermann schon vom Beruf der Fischer? Und nun das Erstaunliche: Jesus fordert die Fischer, in deren Boot er gestiegen war, auf, hinauszufahren und ihre Netze auszuwerfen. Obwohl sie sich sagen mussten, dass das jetzt gar keinen Sinn hat, dass sie ja schon die ganze Nacht vergeblich gearbeitet haben, dass nicht jetzt, am helllichten Tag, plötzlich Fische da sein werden, haben sie dennoch auf das Wort Jesus vertraut. Gegen ihre ganze Berufserfahrung haben sie es noch einmal gewagt - und einen unvorstellbar reichen Fischfang gemacht!
"Fahr hinaus!" Dieses Wort Jesu an Petrus hat Papst Johannes Paul II. am Anfang unseres neuen Jahrtausends wieder aufgegriffen und es den Christen zugerufen. "Werft eure Netze noch einmal aus!" Für mich war dieser Aufruf des Papstes Anfang 2001 eine große Überraschung. Nicht ein müdes, pessimistisches, resigniertes "Es hilft ja eh alles nichts", sondern ein mutiges "Fahrt hinaus! Traut euch! Versucht es noch einmal!" Sagt nicht: Es ist ja nichts zu machen! Wir haben schon alles probiert, es hat nichts gebracht, es ist vergebliche Mühe! Nein, ganz anders ist die Haltung des heute 83-jährigen Nachfolgers des Simon Petrus. Wie dieser vertraut er auf das Wort Jesus: "Wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen."
In vielen Situationen kann uns die Szene des heutigen Evangeliums helfen. Wer kennt nicht Momente, wo nichts weiter zu gehen scheint, wo alles wie blockiert ist. Man hat viel versucht und nichts scheint zu gelingen. Das kann in den persönlichen Beziehungen so sein, im Beruflichen. Manche Pfarrgemeinden erleben heute ähnliches. Trotz aller Bemühungen scheint alles immer schwieriger und erfolgloser zu werden. Da sagt uns Jesus durch sein Evangelium, durch Menschen, die es selber erfahren haben: Wage es noch einmal! Vertraue mir und meiner Hilfe! Ich bin ja bei dir im Boot.
"Herr, geh weg von mir, ich bin ein Sünder." So reagiert Petrus auf den völlig unerwarteten Fischfang. Er ist erschrocken vor Gottes Gegenwart in Jesus. Es ist ein heilsamer Schrecken, wenn wir die Größe und Heiligkeit Gottes erahnen. Das kann in einem Naturerlebnis geschehen: "Wie groß bist du, O Gott!" Das kann bei einer Errettung aus ernster Gefahr sein: "O Gott, unverdient hast du mich beschützt." In solchen Momenten wissen wir: Jetzt muss ich mein Leben ändern! Petrus hat es getan. Er verließ alles, folgte Jesus nach und wurde ein großer "Menschenfischer". Sein Vorbild ermutigt, auf das Wort Jesu hin zu vertrauen: Wagt euch hinaus!
In jener Zeit, als Jesus am Ufer des Sees Genesaret stand, drängte sich das Volk um ihn und wollte das Wort Gottes hören.
Da sah er zwei Boote am Ufer liegen. Die Fischer waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Jesus stieg in das Boot, das dem Simon gehörte, und bat ihn, ein Stück weit vom Land wegzufahren. Dann setzte er sich und lehrte das Volk vom Boot aus.
Als er seine Rede beendet hatte, sagte er zu Simon: Fahr hinaus auf den See! Dort werft eure Netze zum Fang aus! Simon antwortete ihm: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen. Das taten sie, und sie fingen eine so große Menge Fische, dass ihre Netze zu reißen drohten.
Deshalb winkten sie ihren Gefährten im anderen Boot, sie sollten kommen und ihnen helfen. Sie kamen, und gemeinsam füllten sie beide Boote bis zum Rand, so dass sie fast untergingen.
Als Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sagte: Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder. Denn er und alle seine Begleiter waren erstaunt und erschrocken, weil sie so viele Fische gefangen hatten; ebenso ging es Jakobus und Johannes, den Söhnen des Zebedäus, die mit Simon zusammenarbeiteten.
Da sagte Jesus zu Simon: Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen. Und sie zogen die Boote an Land, ließen alles zurück und folgten ihm nach.