Vielleicht trägt er doch noch Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen.
Vielleicht trägt er doch noch Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 3. Fastensonntag, 14. März 2004,
(Lk 13,1-9)
Grauenhaftes ist in Jerusalem passiert. Es klingt wie eine heutige Nachrichtenmeldung von einem Selbstmordattentat eines Palästinensers in einem israelischen Bus. Osterpilger aus Galiläa, der Heimat Jesu, waren gerade dabei, im Tempel ihr Opfer darzubringen. Wahrscheinlich war es das Paschalamm. Da stürmen römische Soldaten herein. Nach jüdischem Gesetz dürften sie nicht in dem Tempel. Aber beim Osterfest herrscht in Jerusalem
Hochspannung. Zigtausende Pilger füllen die Heilige Stadt. Die römische Beatzungsmacht fürchtet immer Aufstände und Terroranschläge gegen die Einrichtungen der Römer. Pontius
Pilatus, der römische Stadthalter, sonst kein besonderer Held, ist bekannt für sein grausames
Durchgreifen. Ohne Rücksicht auf die religiösen Gefühle der Juden, lässt er eine Gruppe von galiläischen Pilgern, die ihm als Terroristen verdächtig scheinen, im Tempel niedermachen, "so dass sich ihr Blut mit dem ihrer Opfertiere vermischte."
Schock, Entsetzen, Wut - und viele Fragen bei den Leuten. Dass man gegen die Römer ist, das ist nicht die Frage, das ist sozusagen selbstverständlich. Eine andere Frage bewegt die Leute, damals wie heute: Wie kann Gott so etwas zulassen? Aber anders als heute, wird nicht Gott angeklagt, sondern die Schuld beim Menschen gesucht. Diese ermordeten Galiläer müssen wohl etwas angestellt haben, dass Gott eine solche Strafe zulässt. Was war wohl ihre Sünde?
Jesus kehrt die Sichtweise völlig um. Sicher, diese Galiläer waren Sünder. Aber glaubt ihr denn wirklich, dass ihr keine Sünder seid, nur weil euch im Moment kein Unglück widerfahren ist? Glaubt nicht, ihr seid in Sicherheit!
Um das deutlich zu machen, zitiert er eine andere "Schlagzeile" aus den damaligen Nachrichten. Durch Grabungsarbeiten beim Bau einer Wasserleitung ist ein Festungsturm beim Teich Schiloach eingestürzt und hat achtzehn Menschen unter sich begraben. Heute würde sofort die Suche nach einem Schuldigen beginnen: bei der Baubehörde der Stadt Jerusalem, bei der Baufirma. Und wenn ein Schuldiger gefunden wird, würde dieser bestraft werden. Damals bewegte noch eine andere Frage die Gemüter: Was haben wohl die Opfer angestellt, dass Gott dieses Unglück zuließ?
Jesus hat damals die Sichtweise radikal umgedreht, und er würde es auch heute so tun. Frage dich bei solchen Schreckensnachrichten nicht zuerst, wer da schuldig ist, um auf ihn zu zeigen. Frage nicht zuerst, warum Gott so Grausames zulässt. Fang zuerst bei dir selber an. Du hättest unter den Opfern sein können. Wärst du dann bereit gewesen, vor Gottes Angesicht zu treten? Wie sähe die Rechenschaft über dein eigenes Leben aus, wenn ein plötzlicher Tod dir die Schlussrechnung abverlangt?
Wenn du solche Schreckensnachrichten hörst, denk einmal nach, wie geduldig Gott mit dir ist. Er macht es mit dir wie der Weingärtner, der dem unfruchtbaren Feigenbaum noch eine letzte Chance gibt, obwohl er bisher keinen Ertrag gebracht hat. Kehr um, noch ist Zeit!
Zu jener Zeit kamen einige Leute zu Jesus und berichteten ihm von den Galiläern, die Pilatus beim Opfern umbringen ließ, so dass sich ihr Blut mit dem ihrer Opfertiere vermischte.
Da sagte er zu ihnen: Meint ihr, dass nur diese Galiläer Sünder waren, weil das mit ihnen geschehen ist, alle anderen Galiläer aber nicht? Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt.
Oder jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms von Schiloach erschlagen wurden - meint ihr, dass nur sie Schuld auf sich geladen hatten, alle anderen Einwohner von Jerusalem aber nicht?
Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt.
Und er erzählte ihnen dieses Gleichnis: Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Weingärtner: Jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen?
Der Weingärtner erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er doch noch Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen.