Der Klang der Stimme des Hirten ist den Schafen das Signal, dass sie vertrauen können.
Der Klang der Stimme des Hirten ist den Schafen das Signal, dass sie vertrauen können.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 4. Sonntag der Osterzeit 2. Mai 2004,
(Joh 10,27-30)
Sonntag des Guten Hirten wird dieser vierte Sonntag der Osterzeit genannt. Verschiedene Abschnitte aus der „Hirtenrede“ Jesu werden gelesen, heute ein ganz kurzer, ganz dichter. „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe“, so hat Jesus zuvor gesagt. Er hat vor den falschen Hirten gewarnt, den „Mietlingen“, die nur an ihren eigenen Profit denken und denen das Wohl der Herde egal ist.
Wie kann die Herde wissen, wer der gute, wer der schlechte Hirt ist? Jesus greift, wie so oft, auf die alltägliche Erfahrung zurück. Er erinnert seine Zuhörer an das, was sie alle aus dem Hirtenleben kennen, mit dem die Menschen damals vertraut waren. „Wenn der Hirte alle seine Schafe (aus dem Stall) hinausgetrieben hat, geht er ihnen voraus, und die Schafe folgen ihm, denn sie kennen seine Stimme. Einem Fremden aber werden sie nicht folgen, sondern sie werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme des Fremden nicht kennen.“
An der Stimme erkennen sie ihn also. Der Klang der Stimme des Hirten ist den Schafen das Signal, dass sie vertrauen können. Er kennt sie, und sie kennen ihn. Was will Jesus mit diesem Vergleich sagen? Das Erste und Wichtigste: Er kennt seine Schafe. Er kennt mich, besser als ich selber mich kenne. Wie viel weiß ich selber über mich? Oft kennen andere mich besser, sehen Schwächen und Stärken an mir deutlicher, als ich selber. Aber auch wenn ich in der Selbsterkenntnis große Fortschritte mache, bleibe ich mir selber immer noch ein Rätsel.
Er kennt mich. Nicht nur ein bisschen, sondern durch und durch. Gott allein kennt, was wirklich im Menschenherzen ist. Im Katechismus hieß es: “Gott ist allwissend.“ Das ist aber keine Schreckensnachricht. Er ist nicht „big brother“, der große Alles-Beobachter, der den Menschen bis ins Letzte ausspioniert, vor dem ich kein Winkerl verbergen kann.
Er kennt mich wie der Hirte seine Schafe. Er weiß, was wir brauchen, er will seine Herde auf
gute Weide führen. „Ich gebe ihnen ewiges Leben“, sagt Jesus, der gute Hirt. Nicht um uns zu verurteilen kennt er uns, sondern um uns sicher auf die Weide des ewigen Lebens zu führen. Wie der gute Hirte um das Leben seiner Schafe kämpft, sie vor Raubtieren beschützt, so sagt Jesus energisch: „Sie werden niemals zugrunde gehen, und niemand wird sie meiner Hand entreißen.“
Keine Angst vor Gottes Allwissenheit! Sie ist untrennbar von Seiner Barmherzigkeit. Es ist tröstlich zu wissen, dass Ihm nichts verborgen ist, denn Er verurteilt uns nicht. Aber da gibt es doch so viele Stimmen, die mich verurteilen! Wir kritisieren einander andauernd, haben stets etwas am andern auszusetzen, finden immer ein Haar in der Suppe. Und dann gibt es noch die andere Stimme, im eigenen Herzen, die mich selber anklagt: Das hättest du anders machen sollen! Selbstvorwürfe und Selbstkritik – und leider manchmal mit gutem Grund, wenn wir wirklich Fehler gemacht haben. Ein Stimmengewirr, das uns oft irrezumachen droht.
Doch da ist eine Stimme, die anders klingt. „Meine Schafe hören meine Stimme.“ Sie tut wohl, sie verurteilt nicht, schmeichelt aber auch nicht. Sie sagt mir die Wahrheit, aber voller Liebe und Güte. Das ist Seine Stimme, die Stimme des Guten Hirten.
Sie kann zu mir im Herzen sprechen, durch die Bibel oder durch liebe Menschen. Sie herauszuhören aus allem Lärm, das ist lebenswichtig. Denn Er, dessen Stimme das ist, führt mich einen guten Weg. Dieser Stimme kann ich völlig vertrauen. Sie führt den Weg zum Leben.
Meine Schafe hören auf meine Stimme; ich kenne sie, und sie folgen mir.
Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen, und niemand wird sie meiner Hand entreißen.
Mein Vater, der sie mir gab, ist größer als alle, und niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen.
Ich und der Vater sind eins.