Nichts ist trostloser als wenn seine Kinder, die sich Christen nennen, einander statt Liebe Hass und Streit liefern.
Nichts ist trostloser als wenn seine Kinder, die sich Christen nennen, einander statt Liebe Hass und Streit liefern.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 5. Sonntag der Osterzeit 9. Mai 2004,
(Joh 13,31-33a.34-35)
Bis Pfingsten, drei Sonntage lang, liest die Kirche Abschnitte aus den so genannten Abschiedsreden Jesu. Im Abendmahlssaal, in der Nacht vor seinem Leiden, hat Jesus lange, ausführlich zu seinen Freunden, seinen Jüngern gesprochen. Hie und da haben sie ihn durch eine Frage unterbrochen. Und Fragen hatten sie nicht wenige: Was geschieht mit dir? Warum musst du leiden? Wohin gehst du, wenn du stirbst? Was wird mit uns geschehen, wenn du weg bist? Werden wir uns wieder sehen?
In den Worten Jesu und den Fragen seiner Apostel ist die Trauer und Schwere des Abschieds spürbar: „Ich bin nur noch kurze Zeit bei euch.“ Bald werdet ihr mich nicht mehr sehen. Stärker ist aber die Zuversicht zu spüren. „Ich lasse euch nicht als Waisen zurück“, sagt er im Lauf dieses Abends zu denen, die er liebevoll „meine Kinder“ nennt. Und er tut, was Väter und Mütter tun, wenn sie vor dem Sterben von ihren Kindern richtig Abschied nehmen können: Sie vertrauen ihnen an, was ihnen im Leben am wichtigsten war. Und sie geben ihnen Mahnungen mit auf den Weg, die sie nie vergessen sollen.
In solcher väterlicher, mütterlicher Sorge spricht Jesus zu den Seinen. Und seine Worte gelten nicht nur für damals. Sie sind bleibend gültig für alle, die seine Jünger sein wollen. Deshalb werden die Abschiedsreden Jesu auch als sein „Testament“ bezeichnet.
Zwei wegweisende Worte stehen im heutigen Evangelium. Das Erste betrifft Jesus selbst. Eben hat Judas sie verlassen, ist hinausgegangen in die Nacht, um Jesus zu verraten. Er wird schon bald die kleine Truppe anführen, die Jesus gefangen nehmen soll. Er wird ihnen den Weg zeigen, wo sie Jesus unter den zahllosen Osterpilgern finden können.
In eben diesem dramatischen Moment sagt Jesus: „Jetzt verherrlicht mich Gott, und ich ihn.“ Im Moment haben seine Tischgenossen kaum verstanden, was das heißen soll. Später ist es ihnen klar geworden. Was wie Ohnmacht aussah, war in Wirklichkeit der Anfang von etwas Herrlichem. Ohnmächtig ist er in die Hände seiner Feinde ausgeliefert. Er fügt sich drein, aber nicht widerwillig, sondern ganz bereit, weil er gewiss glaubt und weiß, dass sein Kreuzweg, der jetzt beginnt, nicht sinnlos ist. Gottes Willen will er tun, und Gottes Willen führt zum Guten, auch wenn die Lage menschlich gesehen noch so ausweglos aussieht.
Jesus lehrt uns zu vertrauen, „dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt“, wie es Paulus ausdrückt. Alles, auch die schwierigste Situation, führt zum Guten, wenn wir Gott vertrauen. Freilich zeigt der Weg Jesu auch noch etwas anderes: Gott erspart ihm nicht das Kreuz. Oft braucht es lange, bis das Gute sichtbar wird, das durch das Kreuz geschenkt wird. Sein Vermächtnis ist, dass wir ihm vertrauen können, wie er Gott seinem Vater vertraut hat.
Und ein zweites Vermächtnis nennt er. Es ist seine große Bitte: Meine Kinder, liebt einander! Wie oft ist das die Sorge sterbender Eltern, dass die Kinder sich vertragen mögen. Jesus will mehr: Sie sollen sich so lieb haben, wie er selber sie geliebt hat. Nichts ist trostloser als wenn seine Kinder, die sich Christen nennen, einander statt Liebe Hass und Streit liefern. Das verdunkelt vielen anderen den Blick auf Jesus. Darum ist es in der Stunde des Abschieds Jesu brennende Sorge, dass seine Jünger einander ehrlich, einfach, aufrichtig lieben. „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid.“ Da haben wir noch einiges zu tun, um das Testament Jesu zu erfüllen!
Als Judas hinausgegangen war, sagte Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht, und Gott ist in ihm verherrlicht.
Wenn Gott in ihm verherrlicht ist, wird auch Gott ihn in sich verherrlichen, und er wird ihn bald verherrlichen.
Meine Kinder, ich bin nur noch kurze Zeit bei euch. Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.
Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.