Empfangt den Heiligen Geist!
Empfangt den Heiligen Geist!
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum Pfingstsonntag, 30. Mai 2004,
(Joh 20,19-23)
Das Wort "Pfingsten" kommt vom griechischen "Pentekoste" und bedeutet einfach "der Fünfzigste". Wir feiern viele "Fünfzigste": Geburtstage, Gedenktage. Nächstes Jahr wird es der fünfzigste Jahrestag des Staatsvertrages und damit der Befreiung Österreichs sein.
Pfingsten ist schlicht der fünfzigste Tag nach Ostern, sozusagen der "goldene Ostertag". Deshalb wird heute nochmals das Evangelium vom Ostersonntag vorgelesen. Ostern ist ja nicht Vergangenheit. Christus ist auferstanden. Der Tod hat keine Macht mehr über Ihn. Deshalb konnte Er auch versprechen, dass er alle Tage bei uns bleibt, bis ans Ende der Welt. Und deshalb hat Er auch zugesagt, dass seine Kirche niemals vom Tod und den Mächten der Zerstörung überwältigt werden wird.
Immer wieder hat es "ein neues Pfingsten" gegeben, das die Kirche aufgeweckt und erneuert hat. Der gute Papst Johannes XXIII. hat ein solches "neues Pfingsten" erhofft, als er vor bald fünfzig Jahren ein Konzil einberief, das die Kirche erneuern sollte. Ist es gekommen? Ist es ausgeblieben? Woran ist zu erkennen, wonach zu beurteilen, ob der Heilige Geist ein neues Pfingsten bewirkt?
Das Evangelium zeigt es uns. Der Ausgangspunkt ist trostlos, unerfreulich, aussichtslos. Hilflos und ratlos sitzen die Jünger Jesu beieinander. Angst hält sie gefangen. Die Türen sind von innen her verschlossen, und wohl auch die Fenster. Alles kreist um die eigenen Problemen, es wird über die schlechte Zeit, die böse Welt gejammert. Nostalgisch werden frühere, bessere Zeiten beschworen. Der Blick nach vorne schreckt, der Blick zurück wird zur Flucht aus der schwierigen Gegenwart.
Wer kennt nicht solche Zeiten? Im persönlichen Leben gibt es sie, wie im Leben der Kirche. Es sind Momente tiefer Niedergeschlagenheit. Kein Licht erscheint, kein Ende des Tunnels ist in Sicht.
Da kommt Jesus und tritt in ihre Mitte. Ihn hindern keine verschlossenen Türen und Fenster. Was am Osterabend geschah, geschieht bis heute, in immer neuen, überraschenden Wendungen. Was tot schien, lebt auf; was ausweglos schien, wird ein neuer Weg. Ich nenne das den "Wendepunkt der Hoffnung". Ich glaube, ein neues Pfingsten erkennt man daran, dass wieder Hoffnung aufkeimt.
Die Sehnsucht nach einem solchen Wendepunkt ist groß: endlich herauskommen aus dem Teufelskreis einer Sucht; Frieden finden in dem endlosen Konflikten einer schwierigen Beziehung; frei werden von dem quälenden Gefühl der Sinnlosigkeit und Vergeblichkeit. Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Wie aber kommt es zur Wende? Damals kam Christus selber, sichtbar, greifbar, und brachte Frieden und Freude. Aber heute?
Es gibt viele Wege, auf denen Christus heute Hoffnung schenkt. Meist geschieht es durch Menschen, die wie ein Licht das Dunkel erhellen. Vielen war Papst Johannes XXIII. ein Hoffungsschimmer. Viele haben Kardinal König so erlebt. Oft sind es ganz einfache Menschen, durch die der Friede Christi in die Mitte unseres Lebens kommt. Solche Begegnungen können ein Leben verändern.
Ganz entscheidend aber ist es, dass wir der Barmherzigkeit Gottes begegnen. "Wem ihr die Sünden vergebt…", sagt Jesus am Osterabend. Ohne Vergebung gibt es keine Hoffnung. Das sehen wir an den schrecklichen Krisenherden unserer Zeit. Umso dringender werden Menschen gebraucht, die bereit sind, den Frieden und die Versöhnung Jesu weiterzugeben, damit ein neues Pfingsten kommt.
Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite.
Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.