Aktivsein ist notwendig, aber es bedarf als guter Grundlage der "Kontemplation", des Beschaulichen, der Besinnung, des Gebets.
Aktivsein ist notwendig, aber es bedarf als guter Grundlage der "Kontemplation", des Beschaulichen, der Besinnung, des Gebets.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 16. Sonntag im Jahreskreis, 18. Juli 2004,
(Lk 10,10,38-42)
Das Evangelium ist immer wie ein Spiegel und wie ein Fenster. Ein Spiegel, weil es mir zeigt, wie es um mein Leben steht, wo ich in Gefahr bin, fehlzugehen. Und ein Fenster, denn es öffnet mir eine neue Aussicht, es ermöglicht einen weiten, lichten Ausblick und weist mir einen hoffnungsvollen Weg.
Martha und Maria, die beiden Schwestern, stehen für zwei unterschiedliche Haltungen, zwei Lebenseinstellungen. Blicken wir zuerst in den Spiegel, den sie uns vorhalten, damit sich uns ein Fenster für neue Orientierung öffnet. Martha, die Schwester der Maria, ist die Gastgeberin. Sie ist die Unternehmende, die Aktive. Sie nimmt Jesus in ihrem Haus auf, bietet ihm Rast auf seiner Reise, Herberge auf seinem Weg nach Jerusalem. Sie sorgt dafür, dass es ihm gut geht. Aus den wenigen Worten, mit denen Lukas in seinem Evangelium die Szene beschreibt, können wir uns vorstellen, dass sie emsig und etwas hektisch um ihren Gast bemüht ist. Vor lauter Eifer strahlt sie Unruhe aus und macht sich und ihrem Gast
"Umstände".
Anders Maria. Sie setzt sich zu Jesus, zu seinen Füßen. Sie hört ihm zu. Sie hat ganz für ihn Zeit, ist voll Interesse bei ihm. Martha hat Jesus in ihr Haus aufgenommen, Maria aber nimmt ihn in ihr Herz auf. Sie schenkt ihm nicht ihre Betriebsamkeit sondern ihre Aufmerksamkeit.
Ist das Lob, das Jesus ihr spendet nicht ungerecht? Wenn Martha wie Maria dasäße, wer würde dann für das Essen sorgen? Wer den Tisch decken? Es ist ja schön und recht, zuzuhören, aber die Arbeit wartet nicht, und der Tisch füllt sich nicht von selbst mit Speise und Trank. Der Ärger der Martha über ihre Schwester ist nur zu verständlich. Jesus hält ihr den Spiegel vor: Du machst dir viele Sorgen und Mühen! Aber du bist in Gefahr das Wesentliche zu vergessen. Was nützt alles Mühen und Sorgen, wenn du dabei keine Zeit mehr für mich hast? Was soll deine Gastfreundschaft, wenn du dich abhetzt und wir gar nicht mehr miteinander sprechen können?
Ich sehe mich selber in diesem Spiegel. Trauen wir uns, hineinzuschauen! "Aktivismus" ist die Gefahr unserer Zeit. Ständig muss etwas "los sein", von einem Event zum andern, selbst im Urlaub. Immer schneller dreht sich das Karussell unserer Terminkalender, immer hektischer wird unser Leben. Zu allem muss ich kommen, nur nicht zu mir selber. Für alles wird Zeit herausgepresst, nur die Zeit für Gott kommt zu kurz. Was Wunder, dass uns immer mehr das Gefühl von Leerlauf plagt, dass so viele sich als "ausgebrannt" empfinden.
Da öffnet das Evangelium ein Fenster. Jesus zeigt auf Marthas Schwester Maria: "Maria hat das Bessere gewählt". Das Sorgen und Mühen ist nicht schlecht, aber es darf nicht alles verschlingen. Aktivsein ist notwendig, aber es bedarf als guter Grundlage der "Kontemplation", des Beschaulichen, der Besinnung, des Gebets. Es gibt solche Menschen: hochaktiv und doch nicht hektisch, hilfsbereit aber zugleich hörbereit. Ihr Geheimnis ist, dass sie Gott genügend Zeit schenken, auf Sein Wort hören, aus dem Gebet Kraft und Ruhe schöpfen. Sie sind die wirkliche Hilfreichen. Hektik hilft niemandem. Jetzt, in der Ferienzeit, ist es an der Zeit, sich wie Maria Zeit zu nehmen, Jesus in Ruhe zuzuhören.
Sie zogen zusammen weiter, und er kam in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn freundlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß.
Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen.
Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen!
Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig.
Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.