Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.
Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 15. Sonntag im Jahreskreis, 5. September 2004,
(Lk 14,25-33)
Können wir gleichzeitig hassen und lieben? Die Eltern achten und lieben - das gebietet das vierte Gebot. Frau und Kinder zu lieben, das lehrt uns schon die menschliche Natur, und erst recht der Glaube. Hass und Streit zwischen den Geschwistern ist sicher nicht das, was Gottes Willen entspricht. Und zudem ist es viel schöner und erfreulicher, wenn Geschwister einander mögen.
Und doch sagt Jesus, diese alle, Vater, Mutter, Frau und Kinder, Geschwister hätten wir zu "hassen", wenn wir seine Jünger sein wollen. "Hassen" steht da im Text des Evangeliums, und nicht ein abschwächendes "gering achten", wie es unsere derzeitige Bibelübersetzung macht, die offensichtlich die Ohren der Hörer und die Augen der Leser nicht entsetzen wollte. Wenn aber im Evangelium eindeutig "hassen" steht, dann kann das nur ein echtes Wort Jesu sein, das der Evangelist Lukas stehen ließ, weil es eben von Jesus stammt.
Jesus - ein Prediger des Hasses, wie es sie leider auch heute gibt? Das kann es wohl nicht sein, wenn er doch selber gelehrt hat: "Liebt eure Feinde! Tut Gutes denen, die euch hassen!" Wenn wir unsere Feinde lieben sollen, dann sicher umso mehr unsere eigene Familie.
Was will Jesus sagen? Vielleicht hilft uns ein kleines Wort weiter: Wir sollen sogar unser eigenes Leben (wörtlich unsere "Seele") "hassen". Jetzt wird es ganz unverständlich. Sagt Gottes heiligstes Gebot nicht: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst"? Wie soll ich den Nächsten lieben können, wenn ich mich selber verachte, nicht ertrage, ja hasse?
Spätestens hier wird deutlich, dass Jesus mit dem schockierenden Wort vom "hassen" uns nicht Hass predigt, sondern uns aufwecken will. Wir sollen die Familie lieben, aber aus ihr nicht einen Gott, einen Götzen machen. Gott kommt noch vor der eigenen Familie, vor den Eltern, dem Ehepartner, den Kindern, ja auch vor mir selbst. Ich bin nicht das oberste Maß, und die Wünsche und Interessen der Familie nicht der höchste Wert.
Ich erlebe es immer wieder schmerzlich: Da hat ein junger Mann, eine junge Frau einen klaren, starken Ruf, Gott an erste Stelle zu setzen und Priester oder Ordensfrau zu werden. Aber die Eltern wehren sich mit aller Kraft, über Druck aus, drohen, verstoßen, tun alles, um ihn oder sie von diesem Ruf abzubringen, als wäre es eine Katastrophe für die Familie, wenn Sohn oder Tochter einen geistlichen Beruf erwählen.
Auch in Ehe und Partnerschaft ist das immer wieder ein Drama, dass ein Partner auf den anderen eifersüchtig wird, weil bei ihm, bei ihr, Gott an erster Stelle steht. Hier ist Jesus ganz energisch: Auch die beste Partnerschaft ist kein Ersatz für Gott, dem immer der erste Platz gebührt. Wer das zu leben versucht, erlebt, dass Gott dem Partner nicht Konkurrent ist, ihm oder ihr nichts wegnimmt.
Es kann aber manchmal recht lange dauern, bis der andere das entdeckt und einsieht. Für den, der Jesus nachfolgen will, kann das zu einem wirklichen Kreuz werden. Ich kenne Eltern, die ihre Tochter verstoßen haben, weil sie ins Kloster ging, und Ehepartner, die für ihren Glauben manches zu leiden haben - vom geliebten eigenen Partner! Vielleicht gebraucht Jesus deshalb hier ein so hartes Wort.
Viele Menschen begleiteten ihn; da wandte er sich an sie und sagte: Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht mein Jünger sein.
Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.
Wenn einer von euch einen Turm bauen will, setzt er sich dann nicht zuerst hin und rechnet, ob seine Mittel für das ganze Vorhaben ausreichen? Sonst könnte es geschehen, dass er das Fundament gelegt hat, dann aber den Bau nicht fertig stellen kann. Und alle, die es sehen, würden ihn verspotten und sagen: Der da hat einen Bau begonnen und konnte ihn nicht zu Ende führen.
Oder wenn ein König gegen einen anderen in den Krieg zieht, setzt er sich dann nicht zuerst hin und überlegt, ob er sich mit seinen zehntausend Mann dem entgegenstellen kann, der mit zwanzigtausend gegen ihn anrückt? Kann er es nicht, dann schickt er eine Gesandtschaft, solange der andere noch weit weg ist, und bittet um Frieden.
Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet.