Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.
Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 33. Sonntag im Jahreskreis, 14. November 2004,
(Lk 21,5-19)
Prachtvoll stand er da, mit seinen gewaltigen Quadersteinen: der Tempel in Jerusalem, von König Herodes dem Großen in neuer Herrlichkeit erbaut. Man konnte auf ihn stolz sein. Er wirkte unzerstörbar. Die berühmte "Klagemauer" lässt noch heute etwas von seiner vergangenen Größe erahnen.
Wie die Menschen damals auf ihren Tempel stolz waren, so sind wir es heute auf "unseren Stephansdom", auf den Petersdom in Rom oder auf die anderen großen Kathedralen in ganz Europa. Die kulturelle Kraft des Christentums beeindruckt in diesen Monumenten des Glaubens. Auch viele Nichtglaubende sind von der Schönheit der Dome, Klöster und Kirchen gepackt.
Jesus schneidet scharf jede zu äußerliche Anhänglichkeit ab: Der Tempel in Jerusalem wird untergehen. "Kein Stein wird auf dem anderen bleiben." Jesus hat den Tempel geliebt, ging Jahr für Jahr als Pilger hinauf nach Jerusalem. Er wollte, dass der Tempel ein Gebetshaus und nicht eine Jahrmarkthalle sei. So trieb er einmal die Händler aus dem Tempel hinaus.
Aber nicht am Tempel sollen wir hängen, nicht auf ihn unsere Hoffung setzen. Alles kann untergehen. Alles wird einmal zugrunde gehen. Selbst der Petersdom ist nicht ewig. Die größte Kirche der östlichen Christenheit, die Hagia Sophia in Istanbul, ist heute eine Moschee. Nicht an Steinen, sondern an Gott sollen wir uns festhalten.
Weltuntergangsstimmung? Das ist nicht Jesu Haltung. Er gibt auch keine Daten an, was wann und wie passieren wird. Aber er mahnt zur Nüchternheit. "Seid wachsam!" Jede Menge Gurus und Heilslehrern werden auftreten und sich anpreisen. Das gab es zu allem Zeiten. Heute sind es die "Wellness-Gurus", die Heil versprechen, im 20.Jahrhundert waren es die großen Ideologien. Hitler versprach Heil. Stalin gab sich als gütiger Vater des Volkes. Nach wie vor gilt Jesu Warnung: "Lauft ihnen nicht nach!" Und auch: "Lasst euch nicht erschrecken!" Geratet nicht in Panik wegen der Schreckensnachrichten, der Katastrophen.
Beides gilt es zu vermeiden: sorglos und oberflächlich in den Tag zu leben, oder in Weltuntergangspanik zu geraten. Der Gläubige darf sich in Gottes Hand geborgen wissen, auch wenn schwere Zeiten kommen. Auf sie will Jesus seine Zuhörer vorbereiten, also auch uns, seine heutigen Hörer.
Was er ankündigt ist tatsächlich nicht harmlos: "Schreckliche Dinge werden geschehen!" Wann? Jesus nennt keine Termine. Es wird meistens so sein. Wenn uns auch keine "Erdbeben, Seuchen, Hungersnöte" heimsuchen, so können doch "kleine Weltuntergänge" geschehen: Ehen zerbrechen, geliebte Menschen reißt der Tod weg, Betriebe gehen ein, Arbeitsplätze gehen verloren: lauter Katastrophen für die Betroffenen. Wie sollen sie damit umgehen, um nicht selber unterzugehen? "Ausharren!" ist Jesus Antwort. Geduldig, "standhaft" bleiben, durchhalten! Jesus wird dich nicht fallen lassen, wenn du ihm vertraust.
Das gilt selbst für die Verfolgungen, die kommen können. Was Jesus ankündigt, liest sich wie eine Beschreibung des Schreckens der Nazizeit oder der Kommunisten. Genau so, wie Jesus es vorweg beschreibt, ist es zig-tausenden von Christen im 20.Jahrhundert gegangen. "Um meines Namens willen werdet ihr von allen gehasst werden." Das kann auch heute wieder geschehen, ja es geschieht: im Sudan, in China. Und manchem Christen geht es auch bei uns ein wenig so. Jesus hat es nicht anders vorausgesagt. Und er hält sein Versprechen: Seine Hilfe ist spürbar und treu.
In jener Zeit als einige darüber sprachen, dass der Tempel mit schönen Steinen und Weihegeschenken geschmückt sei, sagte Jesus: Es wird eine Zeit kommen, da wird von allem, was ihr hier seht, kein Stein auf dem andern bleiben; alles wird niedergerissen werden.
Sie fragten ihn: Meister, wann wird das geschehen, und an welchem Zeichen wird man erkennen, dass es beginnt?
Er antwortete: Gebt acht, dass man euch nicht irreführt! Denn viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin es!, und: Die Zeit ist da. - Lauft ihnen nicht nach! Und wenn ihr von Kriegen und Unruhen hört, lasst euch dadurch nicht erschrecken! Denn das muss als Erstes geschehen; aber das Ende kommt noch nicht sofort.
Dann sagte er zu ihnen: Ein Volk wird sich gegen das andere erheben und ein Reich gegen das andere. Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Seuchen und Hungersnöte geben; schreckliche Dinge werden geschehen, und am Himmel wird man gewaltige Zeichen sehen.
Aber bevor das alles geschieht, wird man euch festnehmen und euch verfolgen. Man wird euch um meines Namens willen den Gerichten der Synagogen übergeben, ins Gefängnis werfen und vor Könige und Statthalter bringen.
Dann werdet ihr Zeugnis ablegen können. Nehmt euch fest vor, nicht im Voraus für eure Verteidigung zu sorgen; denn ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben, so dass alle eure Gegner nicht dagegen ankommen und nichts dagegen sagen können. Sogar eure Eltern und Geschwister, eure Verwandten und Freunde werden euch ausliefern, und manche von euch wird man töten. Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden. Und doch wird euch kein Haar gekrümmt werden.
Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.