Und doch: Schauen wir genauer hin! Wie viel Gutes geschieht! Wie viele echte Wunder ereignen sich, große und kleine!
Und doch: Schauen wir genauer hin! Wie viel Gutes geschieht! Wie viele echte Wunder ereignen sich, große und kleine!
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 3. Adventsonntag, 12. Dezember 2004,
(Mt 11,2-11)
Schon brennt die dritte Kerze am Adventkranz. Ist es deshalb auch schon heller geworden? Für viele ist die Nähe von Weihnachten mit Ängsten verbunden: Einsamkeit, Beziehungskonflikte, Lebenssorgen. Auf das Fest hin werden sie nicht leichter, sondern belastender.
Auch der Täufer Johannes ist in einer bedrängenden Lage. Im Gefängnis gibt es viel Zeit zum unfreiwilligen Grübeln: Habe ich mich getäuscht? Habe ich mich geirrt? Ist mein Verwandter, Jesus aus Nazareth, vielleicht doch nicht der, auf den wir alle hoffen?
Wir sehen Johannes in einer erschütternden Lebenskrise. Weil er sich getraut hat, dem Landesfürsten Herodes die Wahrheit zu sagen, hat dieser ihn ins Gefängnis gesteckt, um seine unangenehme Stimme zum Schweigen zu bringen. "Du hast nicht das Recht, dir die Frau deines Bruders zu nehmen." Diese Frau, Herodias, hat sich schließlich am lästigen Mahner gerächt und seinen Kopf gefordert, den sie auch tatsächlich bekommen hat.
Zweifel in der Lebenskrise! Wie quälend muss diese Frage für Johannes gewesen sein: War alles falsch, worauf ich bisher gesetzt habe? Aber Johannes gibt nicht einfach der Verzweiflung nach. Er tut etwas, um aus seinen Zweifeln herauszufinden. Er schickt seine Anhänger zu Jesus, um ihn ganz direkt zu fragen: Sag mir, ob du es bist, ob ich mich getäuscht habe!
"Kann Gott gut sein, wenn er so viel Schlechtes zulässt?" Wie oft wird diese Frage gestellt! Statt zu grübeln und uns von Gott abzuwenden, sollten wir es wie Johannes tun: Jesus fragen! "Herr, was sagst du mir?" Wieso muss ich durch dieses Leid hindurch? Warum geschieht so viel Böses in der Welt? Warum änderst du das nicht? Bist du ohnmächtig? Oder gar abwesend? Hast du eine Antwort für mich?
Johannes ermutigt uns, mit allen Fragen direkt zu Jesus zu gehen. Wir brauchen solche bohrenden Fragen nicht zu schlucken, sie könnten uns ersticken. Aber hat Jesus eine Antwort? Ja und Nein! Er gibt keine direkte Lösung. Er fordert auf, selber aktiv zu werden, nicht an der Oberfläche zu bleiben: Schaut genauer hin! Was seht ihr? Ist das Gute wirklich ohnmächtig? Ist Gott tatsächlich stumm zu jedem Leid?
Was sehen wir? Es stimmt: Nicht alles Leid wird gehört. Johannes wurde nicht aus dem ungerechten Kerker befreit. Und doch: Schauen wir genauer hin! Wie viel Gutes geschieht! Wie viele echte Wunder ereignen sich, große und kleine! Habe ich nicht selber schon solche erlebt? Aber wir übersehen sie zu oft, wir bemerken sie gar nicht oder vergessen sie wieder. Kenne ich nicht andere, bei denen wirklich Wunder geschehen sind? Ein Krebs, der geheilt wurde; ein schwerer Unfall, der gerade noch vermieden wurde; eine Beziehung, die durch Versöhnung geheilt wurde. Geschehen nicht dauernd solche Wunder? Nur müssen wir die Augen aufmachen - und diese Wunder weitererzählen, damit wir sie nicht vergessen!
"Und selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt", sagt Jesus zum Schluss. Ja, Gott prüft uns. Aber vor allem liebt Er uns! Dieses Licht wird immer heller.
In jener Zeit hörte Johannes im Gefängnis von den Taten Christi. Da schickte er seine Jünger zu ihm und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten?
Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.
Als sie gegangen waren, begann Jesus zu der Menge über Johannes zu reden; er sagte: Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt? Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Leute, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige. Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen?
Ja, ich sage euch: Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten. Er ist der, von dem es in der Schrift heißt: Ich sende meinen Boten vor dir her; er soll den Weg für dich bahnen.
Amen, das sage ich euch: Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.