Im Weg des Blinden, der sehend und gläubig wird, ist die Geschichte vieler vorgezeichnet, die Jesus von der Blindheit des Unglaubens befreit und ins Licht des Glaubens geführt hat.
Im Weg des Blinden, der sehend und gläubig wird, ist die Geschichte vieler vorgezeichnet, die Jesus von der Blindheit des Unglaubens befreit und ins Licht des Glaubens geführt hat.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
zum 4. Fastensonntag, 6. März 2005,
(Joh 9,1.6-9.13-17.34-38)
Ich kann mir nicht vorstellen, wie das ist: von Geburt an blind sein. Ich habe das Glück, das Augenlicht nie verloren zu haben. Wie das wohl ist: nie eine Farbe, eine Landschaft, nie Menschen zu sehen?
Ich kann mir nicht vorstellen, wie das ist: von Kind an ohne das Licht des Glaubens zu leben. Ich habe das völlig unverdiente Glück, immer geglaubt zu haben, nicht immer gleich eifrig, mit manchen Kurven und Kanten, aber nie ohne Glauben. Wie das wohl ist, wenn man die Welt nicht im Licht des Glaubens sieht? Ich kann versuchen, es mir vorzustellen. Erlebt habe ich es nicht.
Die lange Geschichte mit dem Blindgeborenen (wir haben heute nur die Kurzfassung vorliegen) handelt von einem doppelten Sehendwerden: Er erhält das Augenlicht und kann zum ersten Mal im Leben sehen. Und er findet zum Glauben an Jesus Christus, durch den sein Leben licht und klar wird.
Deshalb wird dieses Evangelium auch in der Fastenzeit gelesen, in der viele Menschen auf der ganzen Welt sich auf den Empfang der Taufe in der Osternacht vorbereiten. Im Weg des Blinden, der sehend und gläubig wird, ist die Geschichte vieler vorgezeichnet, die Jesus von der Blindheit des Unglaubens befreit und ins Licht des Glaubens geführt hat.
Gott geht mit jedem Menschen einen eigenen, unverwechselbaren Weg. Nichts ist sozusagen „Serienproduktion“. Jedes Menschen Geschichte mit Gott ist ein Unikat, gewissermaßen eine „Sonderanfertigung“. Dennoch gibt es bestimmte gemeinsame Grundzüge in den Erfahrungen, die wir Menschen mit Gott machen können. Einige kommen in der Geschichte des Blindgeborenen zur Sprache.
Zuerst seine Heilung: Sie ist ganz und gar Initiative Jesu. Hat der Blinde darum gebeten? Sicher hat er sich danach gesehnt, sehend zu werden. Hier aber handelt Jesus souverän, aus eigenem Antrieb. Das Licht des Glaubens ist immer ein Geschenk. Wir können uns darum bemühen, wir können es leider auch auslöschen. Wir können es nicht selber „produzieren“, es uns nicht selber geben. Jesus heilt den Blinden. Er schenkt auch den Glauben.
Dass dieses Geschenk wächst, dass der Glaube sich entfaltet, das hängt zum Teil von uns selber ab. Im ungekürzten Text dieses Evangeliums wird sehr anschaulich deutlich, wie der Glaube des Blindgeborenen wächst. Zuerst weiß er gar nicht recht, wie und von wem er geheilt worden ist. Je öfter er aber seine Geschichte erzählt, desto klarer wird ihm, wer ihm die Augen geöffnet hat. Und je mutiger er das ausspricht, desto heller und entschiedener wird sein Glaube, bis er schließlich vor Jesus niederfällt und ihm seinen Glauben bekennt.
Ein Drittes zeigt dieses Evangelium: Der Geheilte wird stark angefeindet, ja schließlich „hinausgeworfen“. Dieser Widerstand gegen seinen Glauben entmutigt ihn nicht. Ganz im Gegenteil.
Welche Wegweisung gibt uns dieses Evangelium? Der Glaube ist ein unglaublich kostbares Geschenk, so wertvoll wie das Augenlicht. Aber dieses Geschenk ist kein Ruhekissen. Wer an Christus glaubt, muss mit Widerstand rechnen. Wer sich aber traut, zu seinem Glauben zu stehen und für ihn öffentlich einzutreten, der wird wie der Geheilte erleben, dass sein Glaube desto mehr wächst, je mehr er ihn bezeugt und vor anderen vertritt: Mut also zum Glauben, denn glauben macht sehend. Und wie schön ist es, sehen zu dürfen!
In jener Zeit sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war. Als er dies gesagt hatte, spuckte er auf die Erde; dann machte er mit dem Speichel einen Teig, strich ihn dem Blinden auf die Augen und sagte zu ihm: Geh und wasch dich in dem Teich Schiloach! Schiloach heißt übersetzt: Der Gesandte.
Der Mann ging fort und wusch sich. Und als er zurückkam, konnte er sehen. Die Nachbarn und andere, die ihn früher als Bettler gesehen hatten, sagten: Ist das nicht der Mann, der dasaß und bettelte? Einige sagten: Er ist es. Andere meinten: Nein, er sieht ihm nur ähnlich.
Er selbst aber sagte: Ich bin es. Da brachten sie den Mann, der blind gewesen war, zu den Pharisäern. Es war aber Sabbat an dem Tag, als Jesus den Teig gemacht und ihm die Augen geöffnet hatte.
Auch die Pharisäer fragten ihn, wie er sehend geworden sei. Der Mann antwortete ihnen: Er legte mir einen Teig auf die Augen; dann wusch ich mich, und jetzt kann ich sehen.
Einige der Pharisäer meinten: Dieser Mensch kann nicht von Gott sein, weil er den Sabbat nicht hält. Andere aber sagten: Wie kann ein Sünder solche Zeichen tun? So entstand eine Spaltung unter ihnen.
Da fragten sie den Blinden noch einmal: Was sagst du selbst über ihn? Er hat doch deine Augen geöffnet. Der Mann antwortete: Er ist ein Prophet. Sie entgegneten ihm: Du bist ganz und gar in Sünden geboren, und du willst uns belehren? Und sie stießen ihn hinaus.
Jesus hörte, dass sie ihn hinausgestoßen hatten, und als er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Menschensohn?
Der Mann antwortete: Wer ist das, Herr? Sag es mir, damit ich an ihn glaube.
Jesus sagte zu ihm: Du siehst ihn vor dir; er, der mit dir redet, ist es.
Er aber sagte: Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder.