Beten ist das Leben der Seele, es ist notwendig wie das Atmen für den Leib. Ohne Beten ist unser Leben kurzatmig, die Seele droht zu ersticken.
Beten ist das Leben der Seele, es ist notwendig wie das Atmen für den Leib. Ohne Beten ist unser Leben kurzatmig, die Seele droht zu ersticken.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 7. Sonntag der Osterzeit am 8. Mai 2005,
(Joh 17,1-11a)
Wer betet, lebt. Beten ist das Leben der Seele, es ist notwendig wie das Atmen für den Leib. Ohne Beten ist unser Leben kurzatmig, die Seele droht zu ersticken.
Nach Ostern war ich in Jerusalem. Ich besuchte auch die Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelplatz. Es beeindruckt, so viele Menschen allen Alters, Männer wie Frauen, auf den Teppichen hocken oder knien zu sehen, im Gebet versunken.
Edith Stein, die jüdische Philosophin, damals ganz ungläubig, besichtigt den Dom in Frankfurt. Da sieht sie eine Frau, die mit ihren Taschen vom Markt kommt. Sie kniet nieder und verweilt im Gebet. Edith Steins Unglaube kommt ins Wanken. Was geschieht da im Gebet? Bald wird sie gläubig, lässt sich taufen, wird Karmelitin und 1942 in Auschwitz vergast. Papst Johannes Paul II. hat sie heilig gesprochen.
Papst Johannes Paul II. beten sehen: Öfters hatte ich dazu aus der Nähe Gelegenheit. Er war wie völlig eingetaucht in das innere Gespräch mit Gott. Unvergesslich, sein Gebet zu spüren und zu ahnen.
Wie war das erst bei Jesus! Sein Leben war so sehr Gebet, wie ein Weinstock aus seinen Wurzeln lebt. Im Gebet des heutigen Evangeliums lässt Jesus uns ein wenig in sein Innerstes blicken, das er sonst verborgen hält. Meist betet er ja alleine, an einsamen Plätzen, besonders in der Nacht. Hier lässt er einmal seine Freunde an seinem Gebet teilnehmen. Wie betet er?
Zuerst mit dem Leib: "Er erhob Seine Augen zum Himmel." Wir trauen uns zu wenig, leiblich zum Ausdruck zu bringen, was uns bewegt. Im Gebet müssen Leib und Seele zusammenwirken.
Der Inhalt des Gebetes Jesu besteht in einem Wort: "Vater!" Darin ist alles enthalten, um was es ihm geht. Er sucht als Erstes und Wichtigstes, dass sein Vater "verherrlicht" wird. Er sucht nicht Seine eigene Ehre, sondern die Gottes: "Ich habe dich auf Erden verherrlicht."
Die Ehre Gottes suchen - ist uns das nicht zum Fremdwort geworden? Gegenfrage: Braucht denn Gott unsere Ehrbezeugungen? Ist er darauf angewiesen, dass wir Menschen ihn loben? So, wie wir es gerne sehen, wenn wir von anderen Lob und Ehre erhalten? Ja, Gott braucht unsere Ehre, aber nicht so, wie wir es uns vorstellen. Seine Ehre, so sagt ein früher christlicher Autor, "ist der lebendige Mensch".
Gott wird nicht dadurch groß gemacht, dass der Mensch niedergedrückt wird. Seine Freude und Ehre ist es, wenn wir, seine Geschöpfe und Kinder, gut gedeihen. Und da wir oft missraten, lässt Gott es sich viel kosten, uns zu retten. Jesus verherrlicht Seinen Vater, indem er Seine Herrlichkeit verlässt, ein armer Mensch mitten unter uns wird, bis zum Kreuz für uns: "Ich habe das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast."
Nun bittet Jesus ständig für uns, "für alle, die du mir gegeben hast". Keiner soll verloren gehen. Denn alle sind Gottes Kinder. Darum hat jeder Platz im Gebet Jesu. Er vergisst keinen! An der Weite dieses Betens Maß nehmen: Versuchen wir es wenigstens.
In jener Zeit erhob Jesus seine Augen zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht. Denn du hast ihm Macht über alle Menschen gegeben, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt.
Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast. Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast. Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war.
Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie gehörten dir, und du hast sie mir gegeben, und sie haben an deinem Wort festgehalten. Sie haben jetzt erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist.
Denn die Worte, die du mir gegeben hast, gab ich ihnen, und sie haben sie angenommen. Sie haben wirklich erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie sind zu dem Glauben gekommen, dass du mich gesandt hast.
Für sie bitte ich; nicht für die Welt bitte ich, sondern für alle, die du mir gegeben hast; denn sie gehören dir. Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein; in ihnen bin ich verherrlicht.
Ich bin nicht mehr in der Welt, aber sie sind in der Welt, und ich gehe zu dir.