Jeder, der ein Herz hat, das sich von der Not des Nächsten ansprechen lässt, kann „Arbeiter in der Ernte“ sein.
Jeder, der ein Herz hat, das sich von der Not des Nächsten ansprechen lässt, kann „Arbeiter in der Ernte“ sein.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 11. Sonntag im Jahreskreis 12. Juni 2005,
(Mt 9,36-10,8)
Die Ernte ist groß! Sie kennen alle das heute leider vertraute Bild: Bäume voller Obst, aber niemand ist da zum Ernten. Sträucher voller Beeren. Aber niemand nimmt sich die Zeit, sie zu pflücken. Es lohnt sich nicht mehr. Das importierte Obst ist billiger, die Arbeitskraft zu teuer, und überhaupt haben wir keine Zeit (oder nehmen sie uns nicht mehr wie früher), selber zu ernten.
Was nicht geerntet wird, verkommt. Die Zeit der Ernte ist kurz. Warten geht nicht. Verschieben auf später bedeutet: zu spät! Wenn die Ernte reif ist, muss gleich zugepackt werden. Dazu braucht es bereite Hände, Menschen, die die Ernte einbringen.
Als Jesus die vielen Menschen sah, die von überall her zu ihm kamen, voller Hoffnung, dass er helfen kann, da war sein Herz von Mitgefühl ergriffen. Sie waren erschöpft, nicht nur vom weiten Weg, sondern von den Lasten ihres Lebens; sie waren „fertig“, wie wir heute sagen, körperlich und seelisch am Ende. Im Blick auf diese viele Not spricht Jesus von der großen Ernte. Sie sind reif, „überfällig“ für das Reich Gottes, die Vielen, die da Hilfe bei Jesus suchen.
Die Not der Menschen schreit nach Hilfe. Jesus sieht die Not, und es klingt wie ein Schrei seines Herzens: Seht doch, wie wenige sich um die Not der Menschen sorgen! Spürt ihr nicht, wie viele Durst nach Gott haben? Aber es gibt doch so viele, die hilfsbereit sind! Gewiss, aber im Vergleich zur Größe vor allem der seelischen Not sind es viel zu wenige.
Ein Freund fuhr in seiner Jugend mit dem Taxi zu einer Party, außerhalb von New York. Die Fahrt dauerte über eine Stunde. Der Taxifahrer erzählte meinem Freund seine Lebensgeschichte, die reichlich tragisch war. Am Ende der Fahrt begann der Taxifahrer zu weinen: „Ich fahre seit 20 Jahren Taxi. Sie sind der Erste, der meine Geschichte bis zu Ende angehört hat.“
Die Ernte ist groß. Aber nur wenige Arbeiter sind vorhanden. Mein Freund war damals so von diesem Erlebnis erschüttert, dass der Gedanke, Priester zu werden, bei ihm konkret wurde. Er bereut es auch nach 40 Jahren nicht, „Arbeiter in der Ernte“ Gottes geworden zu sein.
„Bittet den Herrn der Ernte, dass Er Arbeiter in seine Ernte schicke! Bei diesem Wort Jesu denken wir spontan vor allem an Priesterberufe, an geistliche Berufungen. Das stimmt, ist aber zu wenig. Es stimmt, dass wir dringend mehr Priesterberufe brauchen. Sie werden nicht zahlreicher, wenn die Anforderungen geringer werden. Manche meinen, ohne Zölibat gäbe es genug „Arbeiter für die Ernte“. Ich glaube das nicht. Das Entscheidende ist, ob Menschen wie Jesus bereit sind, ihr Leben für „die Schafe“ einzusetzen, „die ohne Hirten sind“.
Jesus selber hat damals auf die Not geantwortet und die ersten Zwölf ausgewählt und ausgesandt, um in der großen Ernte an die Arbeit zu gehen: „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe.“
Es geht nicht nur um Priesterberufe. Jeder, der ein Herz hat, das sich von der Not des Nächsten ansprechen lässt, kann „Arbeiter in der Ernte“ sein. Hier gibt es sicher keine Arbeitslosigkeit. In dieser großen Ernte werden immer Menschen mit großen Herzen gebraucht.
In jener Zeit, als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben.
Da sagte er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden.
Dann rief er seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen.
Die Namen der zwölf Apostel sind: an erster Stelle Simon, genannt Petrus, und sein Bruder Andreas, dann Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und sein Bruder Johannes, Philippus und Bartholomäus, Thomas und Matthäus, der Zöllner, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus, Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn später verraten hat.
Diese Zwölf sandte Jesus aus und gebot ihnen: Geht nicht zu den Heiden, und betretet keine Stadt der Samariter, sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.
Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe. Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.