Hingabe macht das Leben reich. Erfüllt ist es in dem Maß, in dem ich Zeit, Aufmerksamkeit, Liebe schenke.
Hingabe macht das Leben reich. Erfüllt ist es in dem Maß, in dem ich Zeit, Aufmerksamkeit, Liebe schenke.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 13. Sonntag im Jahreskreis, 26. Juni 2005,
(Mt 10,37-42)
Im Leben müssen wir ständig wählen. Und aus vielen kleinen und größeren Wahlen bildet sich allmählich das „Webmuster“ unseres Lebens. Meistens haben wir keine großen Entscheidungen zu treffen. Die „Lebenswahl“ einer Heirat, eines Berufes, eines Hausbaus treffen wir normalerweise nicht oftmals. Aber die Wahl zwischen Freundlichkeit und Grant, zwischen Hilfsbereitschaft und Egoismus, zwischen Zeitvergeudung und sinnvollem Tun treffen wir täglich, oft stündlich.
Ständig haben wir kleine Entscheidungen zu treffen. An ihnen entscheidet sich oft, ob unser Tag gelingt oder ob wir am Abend frustriert und unzufrieden zurückbleiben.
Im heutigen Evangelium spricht Jesus einige der Felder an, auf denen sich unser „Wahlverhalten“ bewähren muss. Er nennt drei Lebensbereiche, die eng zusammenhängen. Da ist zuerst der Raum der Familienbeziehungen. Wir suchen uns die Eltern und Geschwister nicht aus. Wir werden in das Netz familiärer Beziehungen hineingeboren. Die „Blutsbande“ sind besonders stark. Das ist auch gut so, denn für den Einzelnen ist die Familie der erste Ort der Geborgenheit. Weil die enge Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern so lebenswichtig ist, empfinden wir das Zerbrechen der Familie meist als besonders schmerzlich.
Hier zeigt Jesus, dass wir zu wählen haben. Noch wichtiger, noch grundlegender als die Liebe in der Familie ist die Liebe zu Gott. Anders gesagt: Wo Gott den ersten Platz hat, da bekommt die Liebe zwischen Eltern und Kindern ihren richtigen Platz. Dann kann auch die Familie besser gelingen. Denn Kinder sind ein Geschenk Gottes, das den Eltern nicht „gehört“, sondern von Gott anvertraut ist. Und die Eltern sind nicht der liebe Gott, sie sind nur Menschen, mit guten und weniger guten Seiten. Wenn wir Gott mehr lieben als die Eltern, nehmen wir ihnen nichts weg. Im Gegenteil: Wir lernen sie „mit Gottes Augen“ zu sehen: liebevoll, geduldig, bereit zu verzeihen.
Damit sind wir beim zweiten „Wahlbereich“. Es gibt keine Familie, in der nicht auch Schweres, Schmerzliches vorkommt. In jeder Familie gibt es das Kreuz. In jedem Leben gibt es das Kreuz. Meist haben wir es uns nicht selber ausgesucht. Es trifft uns. Es wird uns auferlegt. Manchmal haben wir es auch selber verschuldet. Wir werden es nicht los, es bleibt eine Last.
Es ist ganz berechtigt und richtig, sich gegen Leid und Kreuz im Leben zu wehren. Nicht einfach zu allem „Ja und Amen“ zu sagen. Und doch sagt Jesus: Wenn du mir nachfolgen willst, dann sage Ja zu deinem Kreuz! Tragen und Ertragen ist etwas Kostbares, auch wenn die heutige Zeit wenig Verständnis dafür hat. Das Leiden hat einen Sinn. Wie oft reifen wir erst am Leid.
Damit sind wir beim dritten „Wahlfeld“: „Wer sein Leben zu gewinnen versucht, wird es verlieren.“ Ständig muss ich wählen: Will ich mich zum Mittelpunkt machen? Drehe ich mich stets um mich selber? Das ist der beste Weg, mein Leben zu „verspielen“. Lebendig bleibt mein Leben durch Geben. Hingabe macht das Leben reich. Erfüllt ist es in dem Maß, in dem ich Zeit, Aufmerksamkeit, Liebe schenke. Täglich habe ich diese „Wahlen“ neu zu treffen!
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Aposteln: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig.
Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mit nachfolgt, ist meiner nicht würdig.
Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat.
Wer einen Propheten aufnimmt, weil er ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten erhalten.
Wer einen Gerechten aufnimmt, weil er ein Gerechter ist, wird den Lohn eines Gerechten erhalten.
Und wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist - amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen