Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Senfkorn, das ein Mann auf seinen Acker säte.
Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Senfkorn, das ein Mann auf seinen Acker säte.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 16. Sonntag im Jahreskreis, 17. Juli 2005,
(Mt 13, 24-33)
Die Gleichnisse Jesu gehören zur Weltliteratur – und sind doch mehr als nur schöne, gut erzählte Geschichten. Sie gehören zum großen Weisheitsschatz der Menschheit – und sind doch mehr als nur tiefe Lebensweisheiten. In den Gleichnissen spricht Gott in Menschensprache. In Bildern aus dem (damaligen) Alltagsleben geben sie Einblick in göttliche Geheimnisse. Deshalb sind sie unerschöpflich. So einfach sie sind, so unauslotbar ist ihre Botschaft. Der Heilige Geist hilft, sie zu erfassen.
Heute und nächsten Sonntag werden jeweils drei knappe Gleichnisse erzählt. Das erste heute ist verwirrend und tröstlich zugleich. Kein Bauer sät Unkraut in seinen Weizen. Wind und Samenflug besorgen nur zu schnell, dass dieses sich unter die gute Saat mischt. Gemeinsam gehen beide auf, zum Kummer des Landwirts. Ausreißen ist der Rat der eifrigen Mitarbeiter. Anders der Herr der Ernte: „Lasst beides wachsen bis zur Ernte.“
Allen Höreren ist klar, dass Jesus hier vom Volk Gottes, der Kirche spricht, die ja so etwas wie der Keim und der Anfang des Himmelreiches auf Erden sein soll. So hat Jesus seine Gemeinschaft gewollt. Und siehe da: Mitten in dieser Kirche wächst auch Unkraut. Christus hat nur den guten Samen seiner Botschaft ausgesät. Woher kommt dann all das Unkraut? „Das hat mein Feind getan“, sagt Jesus unverblümt. Auf dem Acker der Kirche tummelt sich seither alles mögliche Gewächs, was gar nicht zu dem passt, was Jesus wollte. Und mancher, der auf die Kirche von außen schaut, sieht nur das Unkraut und übersieht, wie viel guter Weizen wächst.
In der Kirche aber gibt es die Eiferer, die all die Übel ausrotten wollen. Sie fordern vom Bischof, er solle radikal allen Misswuchs ausreißen lassen. Er solle endlich durchgreifen, damit die Kirche rein und sauber dasteht, ohne irgendein Unkraut in ihrer Mitte.
Solche Reformeiferer waren und sind in Gefahr, mehr Gutes zu zerstören, als Böses zu beseitigen. Sie neigen zum Fanatismus, der dann mit dem Unkraut „auch den Weizen ausreißt“. Die Kirche wird immer eine Kirche der Sünder sein. Manche nehmen daran Anstoß. Ich lebe lieber in einer Gemeinschaft, in der auch Fehler und Versagen Platz haben. Sie ist einfach menschlicher. Aufrecht bleibt dabei freilich: Weizen ist Weizen, Unkraut ist Unkraut. Gut und Böse bleiben unterschieden, sie werden nicht vermischt. Ihre saubere Trennung aber wird dem Gericht Gottes überlassen.
Dieses erste Gleichnis ist eine große Schule der Geduld: Lasst beides bis zur Zeit der Ernte wachsen! Es lehrt zudem ein großes Vertrauen: Trotz allem Unkraut wird der gute Weizen eine schöne Ernte ergeben. Nichts anderes sagen die beiden anderen Gleichnisse. So klein wie ein Senfkorn ist das Reich Gottes. Schreckt euch nicht über kleine Anfänge und geringe Zahlen. Im Samen des Reiches Gottes steckt solche Kraft, dass aus dem unscheinbaren Beginn ein großer Baum wird, der vielen Platz und Schatten gibt.
Habt also Vertrauen: Gottes Reich ist wie das Bisschen Germteig, das den ganzen Trog Mehl zum Brotteig aufgehen lässt: Mit solcher Kraft wirkt Gottes verborgene Gegenwart in dieser Welt. Vertraut ihr nur!
In jener Zeit erzählte Jesus der Menge das folgende Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während nun die Leute schliefen, kam sein Feind, säte Unkraut unter den Weizen und ging wieder weg. Als die Saat aufging und sich die Ähren bildeten, kam auch das Unkraut zum Vorschein.
Da gingen die Knechte zum Gutsherrn und sagten: Herr, hast du nicht guten Weizen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? Er antwortete: Das hat ein Feind von mir getan.
Da sagten die Knechte zu ihm: Sollen wir gehen und es ausreißen?
Er entgegnete: Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich zu den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündeln, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune.
Er erzählte ihnen ein weiteres Gleichnis und sagte: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Senfkorn, das ein Mann auf seinen Acker säte.
Es ist das kleinste von allen Samenkörnern; sobald es aber hoch gewachsen ist, ist es größer als die anderen Gewächse und wird zu einem Baum, so dass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten.
Und er erzählte ihnen noch ein Gleichnis: Mit dem Himmelreiche ist es wie mit dem Sauerteig, den eine Frau unter einen großen Trog Mehl mischte, bis das Ganze durchsäuert war.