Alle aßen sich satt - und viel blieb noch übrig.
Alle aßen sich satt - und viel blieb noch übrig.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 18. Sonntag im Jahreskreis 31. Juli 2005,
(Mt 14,13-21)
Früher konnte ich mir nicht so recht vorstellen, was im heutigen Evangelium beschrieben wird, bis ich es vor einigen Jahren in Afrika selber ganz ähnlich erlebt habe.
Am Ufer eines Sees im Osten von Zambia wurde ich eingeladen, wie genau vor 100 Jahren die ersten Missionare mit einem Einbaum, einem aus einem Baumstamm geschnitzten Boot, überzusetzen, um symbolisch dort zu landen, wo damals die erste Missionsstation entstand und wo heute eine blühende Pfarrgemeinde besteht. Viele Leute hatten uns wegfahren sehen (übrigens verriet man mir erst als das schwankende Boot schon weit vom Ufer entfernt war, dass der See voller Krokodile sei), und nun konnte ich beobachten, wie sie am See entlangliefen, und als wir am Ziel landeten, war das Ufer dicht voll von Menschen.
Aber noch ein Zweites wurde mir damals deutlich. Wir können uns heute kaum vorstellen, dass so viele Menschen (weit über 5.000) einfach nichts oder nicht genug zum Essen mithaben. Bei uns hat man bei einem Ausflug doch sicher ein ordentliches „Jausenpackerl“ mit, und wenn alle teilen, dann reicht es auch für die, die zu wenig mithaben. Es hat mich damals in Zambia erschüttert zu erleben, dass die vielen Menschen nicht genug zu essen hatten.
Wir hatten unser ausreichendes Picknick mit. Mir wurde inzwischen bewusst, dass auch die Apostel damals wirklich Armut litten. Was sind fünf Brote und zwei Fische als mehrtägiger Proviant für zwölf ausgewachsene Männer?
So wurde mir die Szene des heutigen Evangeliums immer deutlicher. Ich kann mir die vielen Menschen mit ihrer Armut, ihren Krankheiten lebhaft vorstellen und auch die Hilflosigkeit der Apostel mit ihrer eigenen und mit der sie umgebenden Not.
Am Abend eines langen Tages sind sie es leid. Sie spüren ihren Hunger und denken (vielleicht deshalb) auch an den der vielen Menschen. „Schick doch die Menschen weg!“ Das ist ihr Vorschlag zur Lösung einer schwierigen Lage. Jesu Lösung sieht anders aus: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Unmöglich! Wie stellt er sich das vor? Es reicht ja kaum für uns zwölf! Gebt mir das Wenige, das Letzte, was ihr habt! Er segnete es, brach es und gab es ihnen zum Verteilen. Sie gaben und gaben, und in ihren Händen wurde es nicht weniger. Alle aßen sich satt - und viel blieb noch übrig.
Für mich ist dieses Evangelium wie ein Schlüssel zum Verstehen Jesu geworden. Er schickt keinen weg, den er in Not sieht. Wir werden müde, wollen endlich unsere Ruhe haben und weisen die anderen ab. Er traut uns zu, dass wir ein so weites Herz bekommen wie er selber: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Was uns unmöglich erscheint, macht er möglich. Wir brauchen ihm nur das Bisschen zu geben, das wir haben: unsere Talente, unseren guten Willen, unser Vertrauen. Dann erleben wir das Wunder, das ich so oft gesehen habe: Es wachsen uns Kräfte zu, die wir nicht von uns aus haben. Wir können viel mehr geben, als wir selber vermögen. Denn die Nächstenliebe erschöpft sich nicht im Geben, sie wächst und wächst im Teilen, wie damals das Brot beim Wunder der Vermehrung.
In jener Zeit, als Jesus hörte, dass Johannes enthauptet worden war, fuhr er mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein.
Aber die Leute in den Städten hörten davon und gingen ihm zu Fuß nach. Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen und heilte die Kranken, die bei ihnen waren.
Als es Abend wurde, kamen die Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen, und es ist spät geworden. Schick doch die Menschen weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen können.
Jesus antwortete: Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen! Sie sagten sie ihm: Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische bei uns. Darauf antwortete er: Bringt sie her! Dann ordnete er an, die Leute sollen sich ins Gras setzen.
Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie den Jüngern; die Jünger aber gaben sie den Leuten, und alle aßen und wurden satt.
Als die Jünger die übrig gebliebenen Brotstücke einsammelten, wurden zwölf Körbe voll. Es waren etwa fünftausend Männer, die an dem Mahl teilnahmen, dazu noch Frauen und Kinder.