Jeder wird gebraucht, weil jeder für Gott wichtig ist.
Jeder wird gebraucht, weil jeder für Gott wichtig ist.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 25. Sonntag im Jahreskreis 18. September 2005,
(Mt 20,1-16a)
Selbst in Österreich gibt es sie heute (wieder): die "Taglöhner". Männer und Frauen, die sich für einen Tag "verdingen", um wenigstens für einen Tag Arbeit zu haben, in der Hoffnung, dass sie doch wieder einmal einen dauerhaften Arbeitsplatz finden.
An einer Stadtausfahrt von Wien etwa sieht man sie morgens stehen, in der Hoffnung, dass jemand sie für den Tag "schwarz" anheuert. Man vereinbart einen Tageslohn, und dann geht’s an die Arbeit. Manche warten stundenlang, bis sie gebraucht werden, andere warten vergeblich und hoffen auf einen besseren nächsten Tag.
So war es auch zur Zeit Jesu. Sein Gleichnis spricht von einer, allen nur zu bekannten, Situation: keine Krankenversicherung, keine Pensionsversicherung, kein Arbeitsschutz. Wir leben (noch) in einer unvergleichlich besseren Situation, auch wenn sie nicht besser zu werden verspricht.
Der Gutsherr des Gleichnisses hat eine gute Ernte. Er braucht viele Arbeitskräfte, holt immer noch neue Taglöhner dazu. Die letzten heuert er um fünf Uhr nachmittags an ("um die elfte Stunde"), eine Stunde vor Sonnenuntergang. Am Abend wird der Tageslohn ausbezahlt. Und nun der "Clou" der Geschichte: Alle bekommen genau denselben Lohn, einen Denar, den üblichen Tageslohn. Kein Wunder, dass die sich ärgern und protestieren, die "die Last und Hitze des Tages ertragen haben". Sind sie ungerecht behandelt worden? Ganz und gar nicht. Ein Denar war ausgemacht und den erhielten sie. Und die anderen genauso, obwohl sie kaum gearbeitet haben. Darf der Chef nicht großzügig sein? Es ist sein Geld, und wer kann ihm verbieten, dem, der nur kurz gearbeitet hat, den vollen Tageslohn zu geben?
Was ist die Spitze dieser Geschichte, mit der Jesus Anstoß erregt? Es geht zuerst um Gottes Güte. Da ist einer, der sein Leben lang ganz und gar nicht fromm war, vielleicht viel Unfug getrieben hat. Am Schluss seines Lebens geht er in sich, bekehrt sich, beichtet - und stirbt mit Gott versöhnt. Und bekommt den vollen Lohn, das ewige Leben, den Himmel! Ist das nicht ungerecht? Nein, verdient hat es dieser "Spätkommer" nicht, aber weil Gott gut ist, schenkt er ihm den Himmel genauso wie denen, die sich ein Leben lang brav und redlich bemüht haben.
Jesus hat das selber unter dramatischen Umständen bestätigt: Am Kreuz unter Qualen sterbend hat er dem Verbrecher zu seiner Rechten versprochen, er werde noch am selben Tag mit Ihm im Paradies sein.
Dann geht es in diesem Gleichnis auch um Gottes Geduld: Bis zum Abend sucht Gott den Menschen und lädt ihn ein, mitzuarbeiten in seinem Weinberg. Keinen will Er müßig und sinnlos im Leben herumstehen lassen. Jeder wird gebraucht, weil jeder für Gott wichtig ist.
Schließlich geht es in diesem Gleichnis um etwas, das ich "die Freude an der Mitarbeit im Weinberg des Herrn" nennen möchte. Papst Benedikt hat sich nach seiner Wahl als "bescheidener Arbeiter im Weinberg des Herrn" bezeichnet. Ich erinnere mich an eine Predigt von ihm, vor etwa 20 Jahren, über dieses Gleichnis.
Damals sagte er, wohl auch im Blick auf sein eigenes Leben: "Welch unvergleichliches Glück ist es, schon früh am Morgen des eigenen Lebens vom Herrn in Seinen Weinberg zur Arbeit gerufen worden zu sein!" Und er meinte: Welch eine traurige Situation, Jahre auf dem Marktplatz des Lebens herum zu stehen, ohne den Sinn des Lebens gefunden zu haben. Daran denke ich gerne, wenn ich manchmal versucht bin, über die Last und Mühe des Dienstes zu stöhnen. Dann denke ich, dass Er mich früh in seinen Dienst gerufen hat. Was kann es Schöneres geben?
In jener Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern das folgende Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen sein Haus verließ, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben.
Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg.
Um die dritte Stunde ging er wieder auf den Markt und sah andere dastehen, die keine Arbeit hatten. Er sagte zu ihnen: geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist. Und sie gingen.
Um die sechste Stunde und um die neunte Stunde ging der Gutsherr wieder auf den Markt und machte es ebenso. Als er um die elfte Stunde noch einmal hinging, traf er wieder einige, die dort herumstanden. Er sagte zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum? Sie antworteten: Niemand hat uns angeworben. Da sagte er zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg!
Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen von den letzten, bis hin zu den ersten.
Da kamen die Männer, die er um die elfte Stunde angeworben hatte, und jeder erhielt einen Denar. Als dann die ersten an der Reihe waren, glaubten sie, mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten nur einen Denar.
Da begannen sie, über den Gutsherrn zu murren, und sagten: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt; wir aber haben den ganzen Tag über die Last der Arbeit und die Hitze ertragen.
Da erwiderte er einem von ihnen: Mein Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? Nimm dein Geld und geh! Ich will dem letzten ebenso viel geben wie dir.
Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich zu anderen gütig bin? So werden die Letzten die Ersten sein.