Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden.
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 27. Sonntag im Jahreskreis, 2. Oktober 2005,
„Schutzengelfest“,
(Mt 21, 33-44)
haben die Pächter entweder mit Geldzahlung oder mit einem Teil der Ernte zu begleichen. Bei uns gibt es den Brauch der „Drittelpacht“: Ein Drittel der geernteten Frucht wird dem Weinbergsbesitzer abgeliefert.
Ähnlich war es zur Zeit Jesu im Heiligen Land. Seine Zuhörer wissen, worum es geht. Ein (reicher) Gutsbesitzer verpachtet einen prächtigen Weinberg, der mit Umzäunung, Kelter, Wachturm bestens ausgerüstet ist, an Winzer „und reiste in ein anderes Land“. Der soziale Konflikt ist spürbar: hier der reiche Großgrundbesitzer, der „nur kassiert“, dort die Winzer, die die harte Arbeit leisten. Damals schon gab es den Hass auf die Reichen, vor allem, wenn sie römische Besatzer oder Kollaborateure waren, Neureiche aus dem eigenen Volk, die sich mit Hilfe der Römer bereichert hatten. Terroranschläge gegen sie, Rebellion und Mord waren damals (wie heute im Irak) an der Tagesordnung.
Jesus zeigt aber einen eigenartigen Großgrundbesitzer. Er ist unbegreiflich geduldig. Welcher Mächtige und Reiche ließe es sich gefallen, dass man seine Mitarbeiter so behandelt? Längst hätte er zugeschlagen, eine Strafaktion durchgeführt, Rache genommen, wie wir es heute überall sehen. Dieser Gutsherr ist anders. Er hofft auf Einsicht und Anstand seiner Pächter. Ja, er riskiert es am Schluss, sogar seinen Sohn in diese hochexplosive Situation zu schicken. Das Unvorstellbare trifft ein: Sie bringen sogar den Erben, den Sohn um. Jetzt muss die Geduld am Ende sein. Keine Frage, dass er „diesen bösen Menschen ein böses Ende bereiten wird“.
Wer ist der Gutsbesitzer? Wer ist sein Sohn? Wie geht die Geschichte weiter? Für Jesu Zuhörer ist es klar: Die Bibel spricht so oft von Gott im Bild des Weinbauern. Das jüdische Volk ist sein Weinberg. Er hat es im Heiligen Land „eingepflanzt“ und erwartet von ihm „gute Frucht“, den Ertrag von Gerechtigkeit, Glauben, Gottverbundenheit. Die Knechte, die er sendet, um die Ernte zu holen, sind die Propheten, die Gott immer wieder zu seinem Volk geschickt hat, damit es sich bekehrt, Gott treu ist und seine Gebote im Leben umsetzt. Statt auf sie zu hören, hat man die Propheten meist verachtet, verspottet und umgebracht.
Gottes Geduld mit seinem Volk (und mit jedem von uns) scheint unbegrenzt. Er lässt sich (von uns) unglaublich viel gefallen. Er versucht es immer neu, auch wenn sein Volk (wir Menschen) ihn nicht beachten, ja verachten.
Zum Schluss schickt Er sogar Seinen eigenen Sohn Jesus Christus. Selbst ihn nahmen sie (nahmen wir) nicht auf. Im Gegenteil: Sie kreuzigten ihn (und wir tun es weiter mit unseren Sünden).
Einmal muss doch selbst Gottes große Geduld am Ende sein. Unsere wäre schon längst erschöpft. Wir hätten schon viel früher zurückgeschlagen. Was tut Gott? Statt sein Volk (und uns) zu strafen, geht Er unfassbar weit. Sie haben Jesus, Seinen Sohn am Kreuz umgebracht (und wir sind als Sünder daran mit schuld). Er aber hat uns durch Christus am Kreuz die Vergebung geschenkt. Gott wendet unser Böses zum Guten. Gott vergibt uns bis zum Äußersten. Wann werden wir Seine Liebe begreifen? Erst, wenn wir versuchen, sie nachzuahmen!
In jener Zeit sprach Jesus zu den Hohenpriestern und den Ältesten des Volkes: Hört noch ein anderes Gleichnis:
Es war ein Gutsbesitzer, der legte einen Weinberg an, zog ringsherum einen Zaun, hob eine Kelter aus und baute einen Turm. Dann verpachtete er den Weinberg an Winzer und reiste in ein anderes Land. Als nun die Erntezeit kam, schickte er seine Knechte zu den Winzern, um seinen Anteil an den Früchten holen zu lassen.
Die Winzer aber packten seine Knechte; den einen prügelten sie, den andern brachten sie um, einen dritten steinigten sie.
Darauf schickte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; mit ihnen machten sie es genauso. Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen; denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben. Als die Winzer den Sohn sahen, sagten sie zueinander: Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn töten, damit wir seinen Besitz erben.
Und sie packten ihn, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten ihn um. Wenn nun der Besitzer des Weinbergs kommt: Was wird er mit solchen Winzern tun?
Sie sagten zu ihm: Er wird diesen bösen Menschen ein böses Ende bereiten und den Weinberg an andere Winzer verpachten, die ihm die Früchte abliefern, wenn es Zeit dafür ist.
Und Jesus sagte zu ihnen: Habt ihr nie in der Schrift gelesen: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden; das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder? Und wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen der Stein aber fällt, den wird er zermalmen.
Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Früchte bringt.