Wirklich, die Zahl der Heiligen kann niemand zählen. Zu den Tausenden, die in den "Acta Sanctorum" verzeichnet sind, kommen die vielen, die seither, das heißt in den vergangenen 200 Jahren, dazugekommen sind.
Wirklich, die Zahl der Heiligen kann niemand zählen. Zu den Tausenden, die in den "Acta Sanctorum" verzeichnet sind, kommen die vielen, die seither, das heißt in den vergangenen 200 Jahren, dazugekommen sind.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für das Allerheiligenfest, 1. November 2005,
(Mt 5,1-12a)
In der alten erzbischöflichen Bibliothek in Wien steht eine stattliche Reihe von etwa dreißig Folianten, großformatigen Büchern mit dicken lederbezogenen Holzdeckeln. Dieses Werk heißt "Acta Sanctorum", "Leben und Taten der Heiligen". Für jeden Tag des Jahres sind da von eifrigen Forschern des 17. und 18. Jahrhunderts Akten, Dokumente und Lebensbeschreibungen der Heiligen aller Jahrhunderte gesammelt, in chronologischer Reihenfolge.
Es ist unglaublich, was da an Material zusammengetragen wurde. Vor allem aber beeindruckt die gewaltige Schar der Heiligen. Jeden Tag findet man dreißig, vierzig und mehr Namen von Heiligen und deren Geschichte.
Wenn ich manchmal früh morgens oder spät abends in diesen dicken Bänden lese (alles ist lateinisch), dann muss ich an den Seher von Patmos denken, an die "Geheime Offenbarung" des Johannes, auch Apokalypse genannt. In seiner prophetischen Schau sieht er "drüben", im Himmel, "eine große Schar aus alten Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen, die niemand zählen konnte".
Wirklich, die Zahl der Heiligen kann niemand zählen. Zu den Tausenden, die in den "Acta Sanctorum" verzeichnet sind, kommen die vielen, die seither, das heißt in den vergangenen 200 Jahren, dazugekommen sind. Allein Papst Johannes Paul II. hat 1338 Selig- und 482 Heiligsprechungen vorgenommen. Er hat sie nicht "erfunden" und auch nicht "gemacht". Er hat nur "bekannt" gemacht, was bereits da war: faszinierende Menschen, die das Evangelium ganz gelebt haben; Christen, die ernst gemacht haben mit dem, was Jesus im heutigen Evangelium verkündet.
Achtmal sagt er: "Selig, die..." Achtmal nennt er, was es braucht, damit ein Leben gelingt. Denn Heilige sind nicht irgendwelche Sonderlinge, sondern Menschen, deren Leben ans Ziel gelangt ist, die den Weg gegangen sind, der selig macht.
Es ist ein großes Hoffnungszeichen, dass es so viele gibt, die barmherzig waren, statt harten Herzens zu sein; die Frieden gestiftet haben, wo Hass und Streit herrschten; die nach Gerechtigkeit verlangt haben, statt es sich mit dem Unrecht zu richten; die lieber um der Gerechtigkeit willen Verfolgung auf sich nahmen, als mit den Wölfen zu heulen; die bereit waren, Schimpf und Schande zu ertragen statt andere schlecht zu machen.
Solche Menschen haben ein gerades, ein reines Herz. Sie tun wohl, in ihrer Nähe ist es gut sein. Sie gehören nicht zu denen, die sich auf Kosten anderer groß machen. Sie wollen lieber trösten als selber Trost suchen; sie sind sich nicht selber Mittelpunkt und haben deshalb Herz und Hände frei für andere. Sie sind nicht voll von ihrer eigenen Wichtigkeit, sondern leer wie eine offene Schale, in die Gott seine Liebe gießen kann, damit sie für andere überfließt.
Das sind die Heiligen. Es macht Mut zu sehen, dass sie keine raren Sonderfälle sind. Ja, ihre Schar ist unzählbar. Denn die in den dicken Folianten in der erzbischöflichen Bibliothek Verzeichneten sind nur ein winzig kleiner Teil derer, die vor Gott Heilige sind - auch wenn auf Erden kaum wer von ihnen Bescheid weiß. An alle diese Vielen, Zahllosen denkt die Kirche heute dankbar. Und vertraut darauf, dass sie auch jetzt noch - und jetzt erst recht - Gutes auf Erden tun. Mehr noch als zu ihren irdischen Lebzeiten.
Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie.
Er sagte:
Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet.
Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.