Selten aber finden wir unseren Weg zu Gott alleine.
Selten aber finden wir unseren Weg zu Gott alleine.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 7. Sonntag im Jahreskreis, 19. Februar 2006,
(Mk 2,1-12)
Kardinal Ratzinger, heute Papst Benedikt XVI., wurde vor einigen Jahren von einem Journalisten gefragt: „Wie viele Wege zu Gott gibt es?“ Der Kardinal antwortete darauf ganz spontan: „So viele wie es Menschen gibt“. An dieses Wort muss ich bei der Szene im heutigen Evangelium denken. Der Weg des Gelähmten zu Gott ist alles andere als gewöhnlich. Er kann eine gute Gelegenheit sein, über den eigenen Weg nachzudenken. Dazu will das Evangelium ja offensichtlich anregen.
Als erstes fällt auf, dass wir gar nicht wissen, ob der Gelähmte selber zu Jesus wollte; ob er geglaubt hat, dass Jesus ihn heilen kann; ob er die anderen um Hilfe gebeten hat. Er sagt selber kein Wort, wir wissen es nicht. Im Mittelpunkt stehen viel mehr die vier Männer, die ihn auf ungewöhnlichstem Weg zu Jesus bringen.
Was hat sie bewogen, eine so originelle Methode zu wählen, den Kranken direkt vor Jesus hinzulegen? Wollten sie einem Freund helfen? Hat er sie um Hilfe gebeten? Tat ihnen dieser Daniederliegende leid? Von all dem sagt die knappe Erzählung nichts. Nur eines zählt: was sie tun! Keine großen Worte, aber entschiedene Tat.
Die vier Männer lassen sich von keinem Hindernis abhalten. Sie greifen zu einer höchst ungewöhnlichen Art, an ihr Ziel zu kommen. Man stelle sich lebhaft vor, wie da plötzlich das Dach aufgebrochen wird (zwischen den Balken ist Geflecht aus Stroh, Schilf und Lehm). Der Hausbesitzer (Simon Petrus?) wird sich schön bedankt haben!
Jesus ist weder erschrocken noch empört. Ihn beeindruckt nur der Glaube dieser vier Männer: „Als Jesus ihren Glauben sah….“ Es gibt einen Glauben, den man sehen kann. Er zeigt sich in den Taten. Dieser Glaube scheut keine Mühe. Er gibt vor keiner Schwierigkeit auf. Vor allem aber: er denkt nicht an sich selbst, sondern an den, der Hilfe braucht. Ein solcher tatkräftiger Glaube kann wirklich „Berge versetzen“.
Nun folgt die zweite Überraschung. Jesus spricht den Gelähmten an: „Kind, deine Sünden sind dir vergeben“. Was soll hier die Rede von der Sünde? Heißt das: wer Krank und behindert ist, hat gesündigt? Ist Krankheit eine Strafe Gottes? Manche reden so, meist von den anderen. Jesus sagt nirgends, Krankheit sei Gottes Geißel für die Sünden. Es geht vielmehr um Heilung.
Jesus heilte damals viele Menschen. Mit seinem liebvollen Wort an den Gelähmten zeigt er, welche Heilung wir alle am meisten brauchen: die Vergebung von Schuld und Sünde; die Versöhnung mit Gott, dem Nächsten und uns selber.
Mich stört immer der so häufige „Sager“: „Am wichtigsten die Gesundheit!“ Darauf sage ich meist: Wichtig ist die Gesundheit des Leibes, noch wichtiges ist die Gesundheit der Seele. Was nützt die beste Gesundheit, wenn mein Leben voller Streit, Zwist und Hass ist? Was nützt es, wenn alle im Haus gesund sind, aber keine Liebe untereinander da ist?
Jesus heilt zuerst die Seele. Er will den Gelähmten nicht nur wieder auf die Beine stellen, er will aus ihm einen versöhnten Menschen machen, der zu Gott gefunden hat. Krankheit kann ein Weg zu Gott werden. Selten aber finden wir unseren Weg zu Gott alleine. Meist geht dieser Weg über Menschen, deren gelebter Glauben uns anspricht und überzeugt. Glücklich, wer in seinem Leben Menschen begegnet wie diesen vier Männern.
Als Jesus nach Kafarnaum zurückkam, wurde bekannt, dass er wieder zu Hause war. Und es versammelten sich so viele Menschen, dass nicht einmal mehr vor der Tür Platz war; und er verkündete ihnen das Wort.
Da brachte man einen Gelähmten zu ihm; er wurde von vier Männern getragen. Weil sie ihn aber wegen der vielen Leute nicht bis zu Jesus bringen konnten, deckten sie dort, wo Jesus war, das Dach ab, schlugen die Decke durch und ließen den Gelähmten auf seiner Tragbahre durch die Öffnung hinab.
Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben! Einige Schriftgelehrte aber, die dort saßen, dachten im Stillen: Wie kann dieser Mensch so reden? Er lästert Gott. Wer kann Sünden vergeben außer dem einen Gott?
Jesus erkannte sofort, was sie dachten, und sagte zu ihnen: Was für Gedanken habt ihr im Herzen? Ist es leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben!, oder zu sagen: Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh umher?
Ihr sollt aber erkennen, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben. Und er sagte zu dem Gelähmten: Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Tragbahre, und geh nach Hause! Der Mann stand sofort auf, nahm seine Tragbahre und ging vor aller Augen weg.
Da gerieten alle außer sich; sie priesen Gott und sagten: So etwas haben wir noch nie gesehen.