Unser ganzes Menschsein soll licht und strahlend werden. „Verklärung“ ist der Sinn des menschlichen Lebensweges.
Unser ganzes Menschsein soll licht und strahlend werden. „Verklärung“ ist der Sinn des menschlichen Lebensweges.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 2. Fastensonntag, 12. März 2006,
(Mk 9,2-10)
Alte Gesichter können wunderschön sein. Nicht so wie in den Modezeitschriften, in der Kosmetikwerbung, wo jede Falte im Gesicht wie ein zu vertreibender Feind behandelt wird. Es gibt eine andere Schönheit, die keine Kosmetika produzieren kann. Wer ihr begegnet, vergisst sie nie mehr.
Bei meinem Rumänienbesuch vor sechs Wochen schenkte mir mein Verleger Sorin Dumitrescu einen Kalender mit zwölf Porträtfotos. Zwölf alte Männer, zwölf alte Mönche und Priester, „Starzen“, wie sie die Ostkirche nennt, „Alte“, lebens- und glaubenserfahrene Weise. Ihre Gesichter sind von tiefen Furchen durchzogen. Das Leben hat sie in die einst jugendliche Haut eingegraben. Fast alle dieser zwölf Alten haben Jahre der Gefangenschaft, der kommunistischen Glaubensverfolgung gekannt. Und doch ist in diesen Gesichtern keine Spur von Bitterkeit, nichts von Enttäuschung, nichts „Verlebtes“. Wohl aber viel Erfahrung, und noch mehr Güte, keine billige, sondern eine Güte, die um die menschliche Not weiß, um Schwächen, Versagen, um Feigheit und Verrat. Alle dem sind diese „Alten“ in ihrem Leben begegnet, haben in sich selbst die Gefährdungen des Menschen erlebt. Die Güte, das Erbarmen, das Verständnis für die Menschen waren stärker.
Einen dieser zwölf „Starzen“ habe ich noch persönlich in Bukarest kennen gelernt. Seine Ausstrahlung war unwiderstehlich. Bei ihm war es gut sein. Das sah man an seiner Kirche, die voller junger Menschen war. Was ist das Geheimnis dieser „Alten“? Genau das, was das heutige Evangelium sagt. Sie sind Menschen, bei denen etwas geschehen ist wie damals bei Jesus am hohen Berg.
„Verklärung“ nennt die Kirche diesen Vorgang. Was geschah? Am ersten Fastensonntag, vor einer Woche, hörten wir das Evangelium von der Versuchung Jesu in der Wüste, durch vierzig Tage. Heute ist Jesus mit drei Aposteln alleine auf dem Berg. Vor ihren Augen verwandelt sich sein Aussehen. Überirdischer Lichtglanz geht von ihm aus. Petrus ist wie benommen vor Glück und Schreck. Es ist so selig, das zu erleben, dass er gleich hier bleiben will. Doch bald müssen sie wieder hinunter in die Tiefe, in die Mühsal des irdischen Weges.
Was hat Jesus ihnen in dieser „Taborstunde“ voll unbeschreiblicher Freude gezeigt? Das Ziel des Weges! Dorthin ist er unterwegs. Dorthin will er auch uns führen. Unser ganzes Menschsein soll licht und strahlend werden. „Verklärung“ ist der Sinn des menschlichen Lebensweges.
Heute wollen wir alles gleich haben. Glück, Schönheit, Erfolg – sofort. Das Leben tut es nicht so. Jesus ist nicht auf dem Tabor geblieben. Er stieg herab, er ging seinen Weg voll Leid, bis zum Kreuz. Nur so kam er zur Auferstehung. Die Verklärung war eine kurze Vorahnung vom glücklichen Ziel der Reise.
Die zwölf alten Männer haben das Ziel fast schon erreicht. Auf ihren alten Gesichtern leuchtet die Freude des Zieles. Das Leid hat sie nicht zerstört, sondern verklärt Geduld und Liebe, und bei allem Ernst, ja einer gewissen Strenge doch eine große Barmherzigkeit. „Verklärtes Menschsein“ – das schönste Ziel für ein Leben. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele in den orthodoxen Ländern ihre „Starzen“ aufsuchen.
Bei ihnen ist gut sein.
In jener Zeit nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg, aber nur sie allein.
Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann.
Da erschien vor ihren Augen Elija und mit ihm Mose, und sie redeten mit Jesus.
Petrus sagte zu Jesus: Rabbi, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija. Er wusste nämlich nicht, was er sagen sollte; denn sie waren vor Furcht ganz benommen.
Da kam eine Wolke und warf ihren Schatten auf sie, und aus der Wolke rief eine Stimme: Das ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören. Als sie dann um sich blickten, sahen sie auf einmal niemand mehr bei sich außer Jesus.
Während sie den Berg hinabstiegen, verbot er ihnen, irgendjemand zu erzählen, was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei.
Dieses Wort beschäftigte sie, und sie fragten einander, was das sei: von den Toten auferstehen.