Er nimmt uns mit auf seinem Weg und lässt uns sehen, wie er wirkt, wer er ist.
Er nimmt uns mit auf seinem Weg und lässt uns sehen, wie er wirkt, wer er ist.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 13. Sonntag im Jahreskreis, 2. Juli 2006,
(Mk 5,21-43)
Wie anschaulich werden die beiden Wunder Jesu erzählt! Dem Evangelisten Markus genügen wenige Worte, um beide Szenen fast greifbar und sichtbar zu machen. Überall wird von Jesus erzählt. Die Menschen drängen sich, wollen Jesus sehen, hören, berühren. Seine Krankenheilungen wecken viele Hoffnungen. Von allen Seiten brandet die Not an ihn heran. Und da das Leid nicht wählerisch ist, alt und jung, reich und arm treffen kann, finden wir unter den Hilfesuchenden alle Arten von Menschen. Not lehrt wirklich Beten und Bitten!
Wie berührend ist die Bitte es Synagogenvorstehers: „Meine Tochter liegt im Sterben!“ Sein geliebtes Kind soll nicht sterben. Keiner kann helfen – außer Jesus, dem er in seiner Not völlig vertraut.
Unter denen, die Jesus vertrauen und von ihm Hilfe erhoffen, ist auch eine Frau in der Menschenmenge, die sich um Jesus drängt. „Blutfluss“ – das macht kultisch „unrein“. Sie ist ausgeschlossen vom religiösen Leben, und sie darf niemanden berühren, damit sie nicht andere unrein macht. Vergebliche Hilfesuche bei Ärzten, die nur Geld kosten, aber nicht heilen können. In der Menge hofft sie, unbemerkt Jesus berühren zu können. Es bleibt nicht unbemerkt, bei ihr und bei ihm. Beide spüren, dass eine Kraft wirksam war, die von ihm ausgeht und sie heilt. Nicht um sie bloßzustellen sucht Jesus nach ihr, sondern um ihren Glauben zu loben.
Glauben fordert er auch von Jaïrus, als ihm gesagt wird, das Kind sei gestorben: „Sei ohne Furcht; glaube nur!“ Unvergesslich bleibt den drei Aposteln, die Jesus ins Sterbezimmer mitnimmt, wie er mit einem einfachen Wort das Mädchen aus dem Tod „aufweckt“. Sie haben es in Jesu Muttersprache aufbewahrt: „Talita kum!“
Jesus hat diese beiden Wunder für ganz bestimmte Menschen in ihrer ganz konkreten Not gewirkt. Aufgezeichnet wurden sie aber für uns. Wozu? Damit wir Jesus besser kennen lernen. Er nimmt uns mit auf seinem Weg und lässt uns sehen, wie er wirkt, wer er ist.
Er ist der „Heiland“. Wo er hinkommt, da wird es heil. Er heilt die Krankheit des Leibes, nicht nur damals. Bis heute geschehen Wunder dieser Art, in Seinem Namen und aus Seiner Kraft. Die Berichte darüber füllen Bibliotheken, und noch mehr sind nie verzeichnet worden, aber ganz real geschehen.
Und bis heute lässt Jesus sich von uns berühren. In jedem Sakrament, besonders in der Eucharistie, berühren wir nicht nur „den Saum seines Gewandes“, sondern Ihn selber. Und in jedem Sakrament „strömt eine Kraft von ihm aus“, die den Leib heilen und die Seele mit dieser Kraft erfüllen kann. So ist die blutflüssige Frau für immer das Vorbild eines Glaubens, der sich traut, Jesus zu berühren, und der von Jesus berührt wird.
„Das Kind schläft nur“, sagt Jesus, zum Spott derer, die um das Kind wehklagen. Jesus weiß, dass es tot ist, aber nicht ewig. Auch wenn er es aus dem Tod erweckt hat (und das geschah noch oft in der Geschichte der Kirche), es wird einmal wieder sterben, oder, wie wir sagen, „entschlafen“.
Jesus ist Herr auch über den Tod. Deshalb brauchem wir auch den „Schlaf“ des Todes nicht zu fürchten. Zu fürchten haben wir nur „den zweiten Tod“, den, vor dem der Herr uns und alle bewahren möge: den Tod einer ewigen Trennung von Gott. Deshalb ist nichts eiliger, als Jesus ganz und völlig zu vertrauen – und Ihm zu glauben!
Jesus fuhr im Boot wieder ans andere Ufer hinüber, und eine große Menschenmenge versammelte sich um ihn. Während er noch am See war, kam ein Synagogenvorsteher namens Jaïrus zu ihm.
Als er Jesus sah, fiel er ihm zu Füßen und flehte ihn um Hilfe an; er sagte: Meine Tochter liegt im Sterben. Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie wieder gesund wird und am Leben bleibt. Da ging Jesus mit ihm.
Viele Menschen folgten ihm und drängten sich um ihn. Darunter war eine Frau, die schon zwölf Jahre an Blutungen litt. Sie war von vielen Ärzten behandelt worden und hatte dabei sehr zu leiden; ihr ganzes Vermögen hatte sie ausgegeben, aber es hatte ihr nichts genutzt, sondern ihr Zustand war immer schlimmer geworden.
Sie hatte von Jesus gehört. Nun drängte sie sich in der Menge von hinten an ihn heran und berührte sein Gewand. Denn sie sagte sich: Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt. Sofort hörte die Blutung auf, und sie spürte deutlich, dass sie von ihrem Leiden geheilt war.
Im selben Augenblick fühlte Jesus, dass eine Kraft von ihm ausströmte, und er wandte sich in dem Gedränge um und fragte: Wer hat mein Gewand berührt? Seine Jünger sagten zu ihm: Du siehst doch, wie sich die Leute um dich drängen, und da fragst du: Wer hat mich berührt?
Er blickte umher, um zu sehen, wer es getan hatte. Da kam die Frau, zitternd vor Furcht, weil sie wusste, was mit ihr geschehen war; sie fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit.
Er aber sagte zu ihr: Meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden! Du sollst von deinem Leiden geheilt sein.
Während Jesus noch redete, kamen Leute, die zum Haus des Synagogenvorstehers gehörten, und sagten (zu Jaïrus): Deine Tochter ist gestorben. Warum bemühst du den Meister noch länger? Jesus, der diese Worte gehört hatte, sagte zu dem Synagogenvorsteher: Sei ohne Furcht; glaube nur! Und er ließ keinen mitkommen außer Petrus, Jakobus und Johannes, den Bruder des Jakobus.
Sie gingen zum Haus des Synagogenvorstehers. Als Jesus den Lärm bemerkte und hörte, wie die Leute laut weinten und jammerten, trat er ein und sagte zu ihnen: Warum schreit und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, es schläft nur. Da lachten sie ihn aus.
Er aber schickte alle hinaus und nahm außer seinen Begleitern nur die Eltern mit in den Raum, in dem das Kind lag. Er fasste das Kind an der Hand und sagte zu ihm: Talita kum!, das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Sofort stand das Mädchen auf und ging umher. Es war zwölf Jahre alt.
Die Leute gerieten außer sich vor Entsetzen. Doch er schärfte ihnen ein, niemand dürfe etwas davon erfahren; dann sagte er, man solle dem Mädchen etwas zu essen geben.