Wir sollen Hörende werden, nicht mehr taub für das, was Gott uns sagen will. Wir sollen reden zum Guten, Worte, die helfen und aufbauen.
Wir sollen Hörende werden, nicht mehr taub für das, was Gott uns sagen will. Wir sollen reden zum Guten, Worte, die helfen und aufbauen.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn
für den 23. Sonntag im Jahreskreis, 10. September 2006,
(Mk 7,31-37)
Tyrus, Sidon, Dekapolis: Diese Namen im heutigen Evangelium sind 2000 Jahre später im Zentrum der Weltpolitik. Tyrus und Sidon sind Hafenstädte im Leidgeplagten Libanon. Die Dekapolis liegt am Ostufer des Sees Gennesaret, heute Jordanien, und darüber der Golan, auf dem unsere österreichischen Soldaten über einen stets gefährdeten Waffenstillstand zwischen Syrien und Israel wachen. Mitten drinnen der wunderschöne See, an dem Jesus so viel gewirkt hat, dessen Umfeld von der Hisbollah-Miliz mit Raketen beschossen wurde.
Wund war die Welt damals, wund ist sie auch heute. Was konnte ein Jesus damals gegen Mächte und Gewalten der Weltpolitik ausrichten? Was kann er heute? Er hat nicht in die großen Speichenräder der Zeitgeschichte eingegriffen. Sein Weg, die Welt zu verändern, war immer ein ganz persönlicher. Nicht die Massen, sondern die Menschen. Nicht allgemeine „Weltverbesserung“, sondern Zuwendung zum Einzelnen, besonders zu dem, der in Not war.
Ein Taubstummer wurde ihm gebracht. Es gab sie immer schon, Gott sei Dank, die sich die Mühe machten, auf die Not der anderen zu schauen. Es gab da Leute, die Mitleid hatten. Es gibt sie auch heute, Gott sei Dank, und ohne sie wäre unsere Gesellschaft (noch) kälter und unmenschlicher.
Jesus nimmt sich des Taubstummen an. Aber nicht im Lärm und Wirbel der Leute, die ihn umdrängen. Er nimmt ihn beiseite, „von der Menge weg“. Das tut er bis heute. Manche Heilung erfordert Ruhe, Abgeschiedenheit. Nicht immer fällt es leicht, dem zuzustimmen. Jesus kann manchmal erst heilen, wenn wir aus dem Trubel und Stress herausgenommen werden. Manche suchen das freiwillig und suchen die Stille, das Alleinsein mit Gott. „Exerzitien“ nennen wir das, „Auszeiten“, wo Seele und Leib zur Ruhe kommen und den Kontakt mit Gott neu finden.
Die Leute bitten Jesus, er solle den Taubstummen berühren. Von Gott, von Jesus berührt werden, davon erhoffen sie Heilung, und sie täuschen sich nicht. Jesus macht aber mehr als das. Warum heilt Jesus nicht einfach durch sein Wort? So oft genügt ein Wort von ihm, und der Kranke ist geheilt.
Hier vollzieht Jesus einen ganzen Ritus. Er legt dem Taubenstummen die Finger in die Ohren, berührt die Zunge mit seinem Speichel und sagt dann erst das heilende Wort. Warum so umständlich? Ich glaube, er tut es für uns. Wir sollen sehen, was er tut; wir können nachvollziehen, was geschieht. Wir sollen mit allen Sinnen miterleben, was uns durch diesen Ritus widerfährt.
„Effata“ - dieses Wort wurde in der Muttersprache Jesu aufbewahrt, auf Aramäisch. Es wird heute noch bei jeder Taufe verwendet, wenn Ohren und Mund des Täuflings berührt werden. Effata - öffne dich! In der Taufe berührt Jesus durch die äußeren Zeichen das Innere des Menschen. Wir sollen Hörende werden, nicht mehr taub für das, was Gott uns sagen will. Wir sollen reden zum Guten, Worte, die helfen und aufbauen.
Tyrus, Sidon, Golan, Libanon und Israel, Kämpfe und Konflikte ohne Ende. Ist Hoffnung Fehlanzeige? Das Wunder ist möglich. Effata: dass Ohren und Münder und vor allem Herzen sich öffnen, dass Menschen wieder einander hören und miteinander reden können. Dort, und auch bei uns.
Jesus verließ das Gebiet von Tyrus wieder und kam über Sidon an den See von Galiläa, mitten in das Gebiet der Dekapolis.
Da brachte man einen Taubstummen zu Jesus und bat ihn, er möge ihn berühren.
Er nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel; danach blickte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu dem Taubstummen: Effata!, das heißt: Öffne dich! Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden.
Jesus verbot ihnen, jemand davon zu erzählen. Doch je mehr er es ihnen verbot, desto mehr machten sie es bekannt.
Außer sich vor Staunen sagten sie: Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen.