Vieles macht unfrei: eine Sucht, menschliche Verstrickungen, äußere Umstände, vor allem aber die eigenen Schwächen und Fehler.
Vieles macht unfrei: eine Sucht, menschliche Verstrickungen, äußere Umstände, vor allem aber die eigenen Schwächen und Fehler.
Evangelienkommentar von Kardinal Schönborn für den 29. Sonntag im Jahreskreis, 22. Oktober 2006, (Mk 10,35-45)
Die Szenen sind bekannt: Jemand wird entführt. Besorgte Suche. Nach einiger Zeit melden sich die Entführer und verlangen ein Lösegeld. Meist ist die Summe, die sie fordern, maßlos hoch. Die Motive der Entführer sind unterschiedlich. Manchmal wollen sie politische Ziele erzwingen, meist geht es einfach um kriminelle Geldbeschaffung.
Die Methode ist nicht neu. Sie wurde und wird von Terroristen oder Verbrechern angewendet. Aber auch von Königen und Fürsten. Berühmt ist Herzog Leopold V., der den englischen König Richard Löwenherz auf seinem Rückweg vom Kreuzzug in Dürnstein gefangen hielt und ihn erst gegen ein riesiges, wahrhaft königliches Lösegeld freiließ.
Was hat aber Jesus mit Lösegeld zu tun? Er sagt, er sei gekommen, „um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“. Was hat Jesus wem gezahlt, und wofür? Er sagt, er gebe sein eigenes Leben als Lösegeld. Also keine Geldsumme, sondern das eigene Leben.
Wie? Vielleicht so, wie es gewisse Ordensgemeinschaften taten, deren Mitglieder sich freiwillig als Sklaven verkaufen ließen, um andere, die in die Sklaverei geraten waren, loszukaufen? Die so genannten „Mercedarier“ oder die „ Trinitarier“ (es gibt sie bei uns heute noch, in der Kirche am Mexikoplatz in Wien) gaben sich selber freiwillig als Lösegeld für Christen, die etwa nach Nordafrika als Sklaven verkauft worden waren. Einer opfert sich für einen anderen, um ihn freizubekommen.
Noch näher kommen wir der Sache, wenn wir an den polnischen Pater Maximilian Kolbe denken. In Auschwitz im KZ war ein Häftling geflüchtet. Als Rache mussten sich die Häftlinge aufstellen und jeder zehnte wurde zum Tod verurteilt. Pater Kolbe war der neunte. Neben ihm als zehnter ein Familienvater, verzweifelt. Da tauscht der Pater mit ihm den Platz und geht als zehnter in den sicheren Tod im Hungerbunker. Er hat, ganz wörtlich, sein Leben als Lösegeld für einen anderen gegeben. Dieser hat Auschwitz überlebt und war dabei, als Pater Maximilian Kolbe 1982 heilig gesprochen wurde.
Jesus sagt aber, er gebe sein Leben als Lösegeld „für viele“, nicht nur für einen. Für wie viele? In der Muttersprache Jesu heißt das Wort „für viele“ eigentlich „für alle“. Im Klartext heißt das: Jesus gibt sein Leben als Lösegeld für alle Menschen.
Wie geht das? Zuerst: loskaufen wovon? Sind denn alle Menschen in Geiselhaft? Oder sind wir alle Sklaven? Oder gar zum Tod Verurteilte?
Das Wort Jesu vom Lösegeld, das er mit seinem Leben zahlt, setzt das irgendwie voraus. Wer hält uns in Geiselhaft? Vieles macht unfrei: eine Sucht, menschliche Verstrickungen, äußere Umstände, vor allem aber die eigenen Schwächen und Fehler. Sie können uns regelrecht zu Sklaven unserer selbst machen. Und zum Tod sind wir alle „verurteilt“, weil er uns unausweichlich erwartet.
Ist es nicht anmaßend, dass Jesus behauptet, er könne sein Leben als Lösegeld „für alle“ einsetzen? Aber genau das sagt der christliche Glaube: Jesus ist der „Erlöser“ aller Menschen. Gott selber hat uns losgekauft. Er hat seinen Sohn als Lösepreis gegeben. Er will, dass wir aus den Fesseln von Fehlern, Sünden und Tod frei werden. Er lässt sich das viel kosten. Er gibt dafür sein Bestes und Liebstes. Weil wir ihm so wichtig und lieb sind.
Wenn wir diese Liebe begreifen, dann hören wir auch auf, unsere kindischen Machtspiele zu treiben, wer wohl unter uns der Beste und Größte sei.
Da traten Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, zu ihm und sagten: Meister, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst.
Er antwortete: Was soll ich für euch tun? Sie sagten zu ihm: Lass in deinem Reich einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen.
Jesus erwiderte: Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde?
Sie antworteten: Wir können es. Da sagte Jesus zu ihnen: Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde. Doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe nicht ich zu vergeben; dort werden die sitzen, für die diese Plätze bestimmt sind.
Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie sehr ärgerlich über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen.
Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.
Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.