"Das Bild vom Weizenkorn gebraucht Jesus heute im Evangelium. Es ist ein dramatischer Moment in seinem Leben", so Kardinal Christoph Schönborn.
"Das Bild vom Weizenkorn gebraucht Jesus heute im Evangelium. Es ist ein dramatischer Moment in seinem Leben", so Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken zum Evangelium von Kardinal Christoph Schönborn, am Sonntag, 22. März 2015. (Johannes 12,20-33)
Ein Kirchenlied, das ich selber gerne singe, beginnt mit diesen Worten: „Das Weizenkorn muss sterben, sonst bleibt es ja allein; der eine lebt vom andern, für sich kann keiner sein.“ Und der Refrain lautet nach jeder Strophe: „Geheimnis des Glaubens: Im Tod ist das Leben“. Das Bild vom Weizenkorn gebraucht Jesus heute im Evangelium. Es ist ein dramatischer Moment in seinem Leben. Alles spitzt sich zu. Seine Situation wird immer kritischer. Es geht auf eine letzte Entscheidung zu. Und Jesus bringt die Lage auf den Punkt: Wenn sein Leben ein Erfolg werden soll, dann muss er sterben. Er sagt das mit großer Bestimmtheit: Das Weizenkorn kann nur Frucht bringen, wenn es zuerst stirbt. Wer dieses Grundgesetz des Lebens nicht annimmt, der bleibt steril, unfruchtbar: „Wer an seinem Leben hängt, verliert es.“
Ist das wirklich ein Lebensgesetz? Goethe sagt in einem berühmten Gedicht, „dieses: Stirb und Werde!“ sei die Voraussetzung, auf dieser Erde nicht „ein trüber Gast“ zu sein. Stimmt das? Gibt es nicht ein anderes Lebensgesetz in dieser Welt? Das Gesetz der Selbsterhaltung! Kämpfen nicht alle Lebewesen um ihr Dasein? Ist das nicht der stärkste Trieb in uns, in allen Lebewesen: Dass ich leben will! Welche Kräfte kann ein Mensch in Bedrohung und Gefahr entfalten, um sein eigenes Leben zu retten! Der Selbsterhaltungstrieb scheint also das Gegenteil von dem zu sein, was Jesus über das Weizenkorn sagt. Muss ich wirklich mein Leben verlieren, um es zu retten? Was soll stärker sein in meinem Leben? Der Trieb, mein Leben zu erhalten? Oder die Bereitschaft, mein Leben loszulassen?
Zeigt nicht die Erfahrung, dass es beides braucht, den Selbsterhalt und die Hingabe? Wir verdanken unser Leben der Hingabe unserer Eltern: Ihr gegenseitiges sich Schenken ermöglicht erst ein neues Leben. Und dann durch alle die Jahre unserer Kindheit die Hingabe der Eltern, ohne die kein Kind heranwachsen kann. Und wenn wir erwachsen werden: Kein Leben gelingt ohne Opfer! Lernen ist oft mühevoll. Eine Partnerschaft aufbauen geht nicht ohne Rücksichtnahme und Verzicht. Immer müssen wir uns selber ein wenig sterben, um für andere da zu sein.
Hingabe kann aber auch Fehlformen annehmen: Raubbau an den eigenen Kräften. Nur mehr auf die Anderen und nicht mehr auf sich selber schauen. Nach der Bibel sollst du den Nächsten lieben „wie dich selbst“. Beides gehört zusammen: Sich selber annehmen, ja sich selber lieben, und ebenso den Nächsten. Liebe aber hat immer mit Hingabe zu tun. Und daher gilt das Wort Jesu: Das Weizenkorn muss sterben, um Frucht zu bringen.
Jesus gibt auch den Schlüssel, um das zu verstehen: „Wer sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.“ Wer nur an diese Welt denkt, wird sich schwertun, loszulassen, auf manches zu verzichten um der Anderen willen. Ich muss in diesem Leben nicht schon alles haben. Es wartet noch die Ewigkeit auf mich. Dann macht es Freude, Jesus nachzufolgen, der von sich sagt, er sei nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben für uns hinzugeben.
Jesus selber ist dieses Weizenkorn, das sterben muss, um nicht allein zu bleiben. Seine Hingabe wurde unglaublich fruchtbar. Bis heute zieht sie an und bewegt viele Menschen, seinen Spuren zu folgen.
In jener Zeit traten einige Griechen, die beim Osterfest in Jerusalem Gott anbeten wollten, an Philippus heran, der aus Betsaida in Galiläa stammte, und sagten zu ihm: Herr, wir möchten Jesus sehen. Philippus ging und sagte es Andreas; Andreas und Philippus gingen und sagten es Jesus. Jesus aber antwortete ihnen: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht auf die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben. Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren. Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn schon verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen. Die Menge, die dabeistand und das hörte, sagte: Es hat gedonnert. Andere sagten: Ein Engel hat zu ihm geredet. Jesus antwortete und sagte: Nicht mir galt diese Stimme, sondern euch. Jetzt wird Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden. Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen. Das sagte er, um anzudeuten, auf welche Weise er sterben werde.
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Gedanken zum EvangeliumWöchentlicher Evangelienkommentar von Kardinal Christoph Schönborn. |
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