Ich kann mich von Gott im Leid abwenden, wie der eine, der neben Jesus hing. Oder ich wende mich Gott zu, wie der andere.
Ich kann mich von Gott im Leid abwenden, wie der eine, der neben Jesus hing. Oder ich wende mich Gott zu, wie der andere.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntg, 20. November 2016 (Lk 23,35b-42)
Wenn es Gott gibt, wie kann er dann das zulassen? Dieser Frage begegne ich oft. 2004, nach dem schrecklichen Tsunami, hörte ich immer wieder: Wenn es Gott gibt, wieso kann er dann zulassen, dass Hunderttausende durch die Flutwellen sterben? Ist Gott ohnmächtig? Schaut er einfach zu, wie ein Kind an Krebs stirbt? Berührt es ihn nicht, wenn eine Mutter vom Tod hinweggerafft wird und ihre Kinder als Waisen zurückbleiben? Hört er nicht auf das innige Beten und Bitten der Kinder um das Leben ihrer Mutter?
Wo war Gott, als Jesus am Kreuz hing? Hat Jesus nicht selber am Kreuz qualvoll leidend zu Gott gerufen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Nicht genug damit: „Die führenden Männer des Volkes“ haben ihn ans Kreuz gebracht. Als wäre das nicht schon schlimm genug, spotten sie über ihn: „Anderen hat er geholfen, nun soll er sich selber helfen, wenn er der erwählte Messias Gottes ist.“ Sie bestätigen, wie vielen Menschen Jesus geholfen hat. Und trotzdem haben sie seinen Tod gefordert. Wenn er wirklich das ist, was er zu sein behauptet, Gottes Gesandter, Gottes Sohn, dann soll er zeigen, dass er es ist, und sein eigenes Leben retten. Ähnlich spotten die Soldaten, die ihn ans Kreuz genagelt haben.
Da steht wie zum Hohn auf einem Holzbrett über dem Kopf Jesu: „Das ist der König der Juden.“ Dieser Gekreuzigte soll Gottes Sohn sein, der Messias und Befreier seines Volkes, dessen König! Von Gott verlassen, von den Menschen verspottet, ist Jesus in Todesqualen. Wie kann Gott das zulassen? Wo ist da Gott?
Wir dürfen Gott diese Frage stellen. Wir dürfen unsere Not aussprechen. Warum lässt du so viel Leid zu? Wir müssen aber auch die andere Frage stellen: Warum verursachen wir Menschen so viel Leid? Hat Gott Jesus ans Kreuz gebracht? Oder waren es Menschen, die Jesus ablehnten, obwohl sie wussten, dass er so viel Gutes getan hatte?
Mit Jesus wurden zwei Verbrecher gekreuzigt. Der eine stimmt in den Spott der Umstehenden ein. Der andere gibt die Antwort auf all die Fragen nach dem Leid. Er weiß, dass er schwere Schuld hat, dass er nicht zufällig am Kreuz hängt: „Wir erhalten den Lohn für unsere Taten.“ Von Jesus aber weiß er: „Dieser hat nichts Unrechtes getan.“
Und dann diese wunderbaren Worte: „Jesus, denk an mich, wenn du in deiner Macht als König kommst.“ Und Jesus antwortet: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“
Für mich ist das die Antwort auf all die Fragen: Warum lässt Gott das Leiden zu? Warum so viel Not? Wo bleibt da Gott? Es gibt darauf keine allgemeine Antwort. Immer ist die Frage ganz persönlich an mich: Was sagt mir Gott durch diese Not? Glaube ich ihm? Vertraue ich auf ihn? Ich kann mich von Gott im Leid abwenden, wie der eine, der neben Jesus hing. Oder ich wende mich Gott zu, wie der andere. Immer bleibt die Frage an mich: Wo habe ich selber Leid verursacht? Wie habe ich versucht, Leid zu lindern? Bereue ich, wie der eine, meine eigene Schuld? Dann werde auch ich die tröstliche Antwort bekommen: Es wird alles gut! Ich warte auf dich im Paradies!
In jener Zeit verlachten die führenden Männer des Volkes ihn und sagten: Anderen hat er geholfen, nun soll er sich selbst helfen, wenn er der erwählte Messias Gottes ist. Auch die Soldaten verspotteten ihn; sie traten vor ihn hin, reichten ihm Essig und sagten: Wenn du der König der Juden bist, dann hilf dir selbst! Über ihm war eine Tafel angebracht; auf ihr stand: Das ist der König der Juden. Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnte ihn: Bist du denn nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns! Der andere aber wies ihn zurecht und sagte: Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Dann sagte er: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst. Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.
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