Das berühmte Marienbild „Maria Poc“ im Stephansdom. Hier beten viele Menschen in Stille.
Das berühmte Marienbild „Maria Poc“ im Stephansdom. Hier beten viele Menschen in Stille.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium, 28. Mai 2017 (Joh 17,1-11a)
Beten ist etwas ganz Persönliches. Wenn ich Menschen beobachte, die im Stephansdom eine Kerze anzünden, vor allem beim berühmten Marienbild „Maria Poc“, dann geschieht das alles in Stille, schweigend. Vielleicht bewegen sich ein wenig die Lippen. Aber was die Einzelnen erbitten, wofür sie beten, das bleibt ihr ganz persönliches Geheimnis. Ganz selten geschieht es, dass jemand das eigene Herzensanliegen auch laut, vor anderen Menschen, an Gott richtet.
Von einem solchen seltenen Moment ist heute im Evangelium die Rede. Jesus betet laut. Er verwendet dazu nicht ein vorgefasstes Gebet. Im Judentum gibt es, wie auch im Christentum, viele Gebete, die auswendig gebetet werden. Jesus selbst hat uns das „Vaterunser“ gelehrt, und bis heute ist es das gemeinsame Gebet aller Christen. Es ist eine große Hilfe, wenn wir unser Beten in eine vorgegebene Form fassen können. Darum ist es gut, dass es einen gemeinsamen Gebetsschatz gibt, um Worte für das eigene Beten zu finden. Für viele ist der Rosenkranz die bekannteste und beliebteste Gebetsweise. In ihr kann jeder sein persönliches Beten einbringen.
Heute aber betet Jesus laut vor den anderen ein ganz persönliches Gebet. Er lässt in sein Herz blicken. Er zeigt, was sein innerstes Anliegen ist. Darum ist dieses Gebet so besonders kostbar. Und ganz besonders ist auch der Moment, in dem Jesus es spricht. Das letzte gemeinsame Mahl, das Jesus mit den Seinen hält, geht zu Ende. Und ebenso sein Weg in dieser Welt. Es ist die Stunde des Abschieds. Gleich nach diesem Gebet ist Jesus mit seinen Jüngern aufgebrochen, hinuntergegangen zum Garten Gethsemani, wo er bald darauf festgenommen wurde. Dann nahm alles seinen bekannten Lauf.
Was Jesus in dieser Stunde, am Ende des Mahles betet, ist sein letzter Wille, also sein Testament. Er vertraut es Gott an, aber auch allen, die damals und bis heute an ihn glauben.
Es mag überraschen: Jesus betet zuerst für sich selber: „Verherrliche deinen Sohn.“ Jesus weiß, dass jetzt Leiden und ein qualvoller Tod auf ihn zukommen, ganz und gar nichts Herrliches. Aber er bittet, dass dieses Bittere und Schwere nicht das Schlusswort sei, sondern dass Gott ihn „verherrlichen“ möge. Nicht um Ruhm und weltlichen Glanz bittet Jesus, sondern darum, dass Gottes guter Plan gelingt: damit alle „ewiges“ Leben erlangen. Jesus sucht nicht seine persönliche Ehre, seine Anerkennung. Gottes Plan ist, dass es uns Menschen gut geht. Gott will, dass wir leben, nicht nur jetzt, sondern für immer, auf ewig.
Jesus will, dass wir das begreifen. Er bittet Gott, seinen Vater, dass wir erkennen, wie kostbar wir ihm sind. Das zu zeigen war sein Auftrag: „Ich habe das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast!“ Jesus hat ganz für dieses Anliegen gelebt. Dafür hat er alles gegeben. Dafür ist er gestorben: „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart.“ Mit anderen Worten: Ich habe den Menschen zeigen dürfen, wie sehr du sie liebst. So betet Jesus letztlich darum, dass alle Menschen erkennen: Gott ist die Liebe.
In jener Zeit erhob Jesus seine Augen zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht. Denn du hast ihm Macht über alle Menschen gegeben, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt. Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast. Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk zu Ende geführt, das du mir aufgetragen hast. Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war. Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie gehörten dir, und du hast sie mir gegeben, und sie haben an deinem Wort festgehalten. Sie haben jetzt erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, gab ich ihnen, und sie haben sie angenommen. Sie haben wirklich erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie sind zu dem Glauben gekommen, dass du mich gesandt hast. Für sie bitte ich; nicht für die Welt bitte ich, sondern für alle, die du mir gegeben hast; denn sie gehören dir. Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein; in ihnen bin ich verherrlicht. Ich bin nicht mehr in der Welt, aber sie sind in der Welt, und ich gehe zu dir.
Ostern - Jesus ist auferstanden!
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