Pfingsten ist mehr als ein langes Reisewochenende. Es ist ein Fest, das die Grenzen zwischen uns öffnet.
Pfingsten ist mehr als ein langes Reisewochenende. Es ist ein Fest, das die Grenzen zwischen uns öffnet.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium, 4. Juni 2017 (Joh 20,19-23)
Viele verreisen über das lange Pfingstwochenende. Manche erstaunlich weit. Das ist heute möglich, weil wir leicht Grenzen überwinden können. In zwei, drei Flugstunden erreichen wir alle Teile unseres europäischen Kontinents, in dem die Grenzen weitgehend gefallen sind. Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir diese große Bewegungsfreiheit haben. Gleichzeitig erfahren wir, dass Grenzen wieder spürbarer werden. Zum Schutz vor Terror nehmen überall die Kontrollen zu. Wir können leicht in alle Welt reisen, stellen aber schmerzlich fest, dass der Abstand zwischen uns Menschen oft unüberwindbar scheint. Wir bewegen uns schneller. Unvergleichlich schneller als früher, aber wir tun uns schwer, uns aufeinander zuzubewegen.
Pfingsten ist mehr als ein langes Reisewochenende. Es ist ein Fest, das die Grenzen zwischen uns öffnet. Wie sieht das aus? Woran kann man das spüren? Das Pfingstfest in Jerusalem im Jahr 30 unserer Zeitrechnung ist der Anfang einer Erfahrung, die bis heute nicht aufgehört hat. Pfingsten ist ein altes jüdisches Fest, das unsere jüdischen Mitbürger bis heute feiern. Es heißt „Schawuot“, das „Wochenfest“, das fünfzig Tage nach Pessach, dem jüdischen Osterfest, gefeiert wird. Zu diesem beliebten Wallfahrtsfest kamen jüdische Pilger aus vielen Ländern nach Jerusalem. So war es auch in diesem besonderen Jahr 30. Kurz vor dem Pessachfest war Jesus gekreuzigt worden. Aber am Tag nach dem jüdischen Osterfest hatten seine Jünger ihn als Lebenden gesehen. Sein Grab war leer, und sie waren ihm begegnet. Und er hatte ihnen gesagt, sie sollten beisammen bleiben und beten. Sie würden bald eine besondere Kraft erhalten, den Heiligen Geist.
Am Pfingsttag kam es dann zu der Erfahrung, die in der Apostelgeschichte beschrieben wird. Es war eine gewaltige Aufbruchsstimmung: „Alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ Eine große Menschenmenge strömt zusammen und erlebt staunend, dass „jeder sie in seiner Sprache reden hörte“. „Wir hören sie in unserer Sprache Gottes große Taten verkünden.“
Heute können wir zwar leicht in alle Welt reisen, aber die erste Grenze, die wir erleben, ist die Sprachgrenze. Seit Pfingsten machen Menschen die Erfahrung, dass diese Grenze überwunden werden kann, wenn Menschen im Glauben verbunden sind. Seit dem ersten Pfingsten in Jerusalem ist die kleine Gemeinschaft der an Jesus Glaubenden ständig gewachsen. Und sie hat alle Grenzen der Sprachen und Nationen gesprengt. Heute lebt die Kirche in allen Ländern der Erde. Die Bibel ist in zahllose Sprachen übersetzt. In Wien gibt es etwa dreißig kirchliche Gemeinden, die nicht Deutsch als Muttersprache haben. Aber alle teilen denselben Glauben und sind miteinander geschwisterlich verbunden.
Noch wichtiger ist aber die Überwindung der Herzensgrenzen. An nichts kann man deutlicher den Heiligen Geist erkennen, als wenn sich die Herzen öffnen und die Türen des Verstehens aufgehen. Seit Pfingsten haben unzählige Menschen die Erfahrung gemacht, dass sie einen Zugang zu Gott gefunden haben. Und dass Grenzen des Hasses überwunden werden und dass Türen der Versöhnung aufgehen. Das wirkt der Heilige Geist. Das könnte auch heuer geschehen, an diesem langen Pfingstwochenende.
Am Abend des ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.
Ostern - Jesus ist auferstanden!
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